Elisabeth Berlinghof

 

Elisabeth Berlinghof ist als gastronomische Wissenschaftlerin an verschiedenen Stellschrauben des Lebensmittelsystems tätig. Sowohl im Studium als auch bei ihrer Arbeit setzt sie sich mit Themen auseinander, die unsere Ernährungslandschaft zukunftsfähiger gestalten sollen. Mit ihrem Engagement und ihrer Expertise treibt sie seit mehreren Jahren das Thema Hülsenfrüchte voran.

 

“Wir brauchen viele Akteur:innen, Ansätze und Lösungen um die Ernährungswende zu schaffen, aber Hülsenfrüchte und Leguminosen sind dabei ein zentrales Element, die mehrere Herausforderungen simultan beantworten (Stichwörter Ressourceneffizienz, Ernährungssouveränität, Ökosystemleistungen, Gesundheit und Geschmack).”

Stell dich bitte kurz vor. Wer bist du und in
welchen Bereichen bist du tätig?

Ich bin Elisabeth Berlinghof, mein Hintergrund liegt in den Gastronomischen Wissenschaften. Aktuell studiere ich im Master Ökolandbau und Ernährungssysteme an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Daneben bin ich Social Media Managerin und Gärtnerin bei Tiny Farms in Brandenburg und engagiere mich in verschiedenen Initiativen
für Hülsenfrüchte in unserer Esskultur.


Du gilst als Expertin für Hülsenfrüchte – wie kam es zu deiner Passion?

Als Expertin würde ich mich selbst nicht bezeichnen, weil der Begriff in meinen Ohren ein Ende des Lernens impliziert, dabei stecke ich noch voller Neugier. Die Welt der Hülsenfrüchte ist so groß, da werde ich glaube ich nie fertig. Der Ursprung meiner Passion liegt in Italien, wo Hülsenfrüchte über unsere Universitätsmensa in meinen Speiseplan gelangten. Daneben tauchten sie auch theoretisch in verschiedenen Fächern auf: in Geschichte, in Ernährungswissenschaften und in der Agroökosystemlehre,
was natürlich meine Neugier weckte.


Warum bist du so ein Fan von Hülsenfrüchten?

Weil sie eine Lösung sind. Mir gefällt De Shazers Zitat “Problem talk creates problems, solution talk creates solution”. Ich habe mal mit einer Freundin den Hashtag #legumesaretheanswer eingeführt, der natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. Wir brauchen viele Akteur:innen, Ansätze und Lösungen um die Ernährungswende zu schaffen, aber Hülsenfrüchte und Leguminosen sind dabei ein zentrales Element, die mehrere Herausforderungen simultan beantworten (Stichwörter Ressourceneffizienz, Ernährungssouveränität, Ökosystemleistungen, Gesundheit und Geschmack).

Mehr spannende Sorten für die menschliche Ernährung auf unsere Felder (das braucht Kollaboration, denn Wandel ist in der Landwirtschaft eine Herausforderung) und mehr Wissen darüber, wie man Hülsenfrüchte kulinarisch spannend macht- die Welt ist dabei voller Inspirationen!

Du bist unter anderem als Gärtnerin und Social Media Managerin bei Tiny Farms aktiv. Welche Bedeutung hat für dich die Region Berlin/Brandenburg?

Ich bin unglaublich gerne hier, weil ich hier das Leben in einer Stadt wie Berlin mit der Arbeit auf dem Land kombinieren kann. So habe ich Zugang zum unglaublichen esskulturellen Reichtum Berlins, bin inmitten mehrerer Netzwerke toller und engagierter Menschen, und kann doch die Jahreszeiten in ihrer Fülle erleben und draußen sein. Ich mag die Verwandlung sehr gerne; voller Dreck mit einer Kiste Gemüse in der Bahn nach Hause zu sitzen und dann Abends frisch geduscht toll essen zu gehen (wenn ich noch die Kraft habe ;)).


Welche Bedeutung hat für dich die Zusammenarbeit mit
anderen Betrieben?

Zusammenarbeit ist der Schlüssel. Für mich bedeutet Sie Wissensaustausch, gegenseitige Wertschätzung, Teilen von Ressourcen.


Für welche Bereiche sind Hülsenfrüchte wichtig?
Wo siehst du deren Potentiale bzw. in welchen Bereichen sollten sie noch mehr Beachtung finden?

Im Ökolandbau sind Leguminosen, also die Pflanzenfamilie, zu der alle Hülsenfrüchte gehören, im Rahmen einer Fruchtfolge essentiell für die Nährstoffzufuhr: sei es über die Verfütterung an Tiere, deren Ausscheidungen wieder auf den Feldern landen, oder direkt als Zwischenfrucht, im Mischanbau, als Untersaat oder in Form von Pflanzenresten nach der Ernte, die wieder eingearbeitet werden. Gering sind noch die Anbauflächen in Deutschland von den sogenannten Körnerleguminosen, die auf unseren Tellern landen. Das sind solche Leguminosen, deren trockene Samen wir selbst essen. Ich denke sie bieten die perfekte köstliche, gesunde, natürlich haltbare und ressourcenschonende Grundlage einer Ernährung für jeden Tag. Ich sehe sie also in Mensen, in der Alltagsküche, in Mittagstischen, im Brot und auf dem Brot,… dafür muss aber wieder Wissen entlang der Wertschöpfungskette aufgebaut werden.

Worin siehst du den Vorteil vom Hülsenfrüchte-Anbau gegenüber ganz anderen Ansätzen, wie zum Beispiel Precision Farming, die jedoch ähnliche Ziele verfolgen?

Hier spielst du bestimmt darauf an, dass wir viel Energie und CO2 im Anbau eines Lebensmittels sparen können, wenn wir den Einsatz von mineralischen Düngern reduzieren: Das ist eine Gemeinsamkeit von (einer Art von) Precision farming und der Integration von Leguminosen in Fruchtfolgen.
Ich denke in beiden Ansätzen liegt viel Potenzial für eine Ernährungswende, aber es kommt drauf an, WIE sie genutzt werden.
Ich kann Hülsenfrüchte auch unter hohem Einsatz von mineralischem Stickstoffdünger und Pflanzenschutzmitteln und in engen Fruchtfolgen anbauen, ihre Proteine extrahieren und desodorieren und in einem hochverarbeiteten Produkt als pflanzliche Alternative anbieten: Möglicherweise entsteht so trotzdem ein ressourceneffizienteres Produkt (weil die “Verarbeitung” durch Tiere weggelassen wird), aber ich habe viele Potenziale auf dem Weg ungenutzt gelassen (den Geschmack, die Ballaststoffe, die sekundären Pflanzenstoffe, die Pflanzeneigene Fixierung von Stickstoff und so ihre eigene Düngerproduktion, den Bezug zu Landwirt und Sorte). Und ich kann Precision farming als Werkzeug nutzen, das den Status Quo der Landwirtschaft ein wenig ressourceneffizienter macht, in dem beispielsweise durch mehr Daten weniger Dünger verschwendet wird, weil man genau weiß, wann und wo er benötigt wird. Dabei kann ich trotzdem noch enge Fruchtfolgen auf riesigen Schlägen verwenden um Soja anzubauen, das ich dann an Tiere in Mast verfüttere. Beides sind ohne Zweifel Verbesserungen, die aber aus meiner Sicht wenig am Status Quo ändern und für mich nicht radikal genug sind für die Herausforderungen,
denen wir gegenüberstehen.

 

Warum genießen Hülsenfrüchte, trotz ihrer großen Vorteile, in Deutschland weniger Ansehen? Wo kann hier angesetzt werden und wen siehst du dabei in Verantwortung?

Alle Akteur:innen der Wertschöpfungskette sind gefragt. Ich denke, nachdem tierische Produkte für den Großteil der Bevölkerung Jahrhundertelang seltener Luxus waren, ist es verständlich, dass wir alles daran gesetzt haben, es immer und für jede:n verfügbar zu machen. Dabei sind Hülsenfrüchte, die sonst viele ernährt haben, in Vergessenheit geraten. Jetzt kennen wir die ökologischen Nachteile, so viel tierische Produkte zu produzieren und konsumieren und haben eine neue Sichtweise auf Hülsenfrüchte. Jetzt heißt es, die Forschungslücken, die dabei rund um Hülsenfrüchte entstanden sind, wieder zu schließen: Ich sehe also die Regierung und Akteur:innen der freien Wirtschaft in der Verantwortung, hier in die Forschung und Entwicklung zu investieren. Wichtig ist es aber genauso, dass Landwirt:innen und Verarbeiter:innen mit auf den Zug aufspringen. Wir benötigen wieder spannendere Sorten und vielfältige und kreative Verarbeitungswege. Dabei bietet der Blick in die Welt und in traditionelle Esskulturen
unglaublich viel Inspiration.

“Zusammenarbeit ist der Schlüssel. Für mich bedeutet Sie Wissensaustausch, gegenseitige Wertschätzung, Teilen von Ressourcen.”

Kannst du uns etwas zur Eiweißlücke erzählen? Welchen Zusammenhang hat diese zur Klimakrise und wo siehst du Lösungen?

Die Eiweißlücke beschreibt, dass wir in Europa einen großen Teil unseres Proteinbedarfes durch Import decken. Das typischste Beispiel ist dabei der Import von Soja als Futtermittel (auch eine Hülsenfrucht), für dessen Anbau Regenwald abgeholzt wird. So bleiben die Flächen, die wir durch unsere Produktion und durch unseren Konsum verwenden, oft unsichtbar. Wir verfüttern also unglaublich viel Fläche an Tiere, die die Proteine für uns (unter hohem Ressourcenaufwand) weiterverarbeiten. Denn Tiere produzieren kein Protein, sondern sie konsumieren es und wir nehmen es in Form von Milch oder Fleisch wieder von ihnen ab. Hülsenfrüchte produzieren (!) dagegen Protein, durch ihre Fähigkeit Stickstoff (Bestandteil Protein) aus der Luft zu fixieren. Der Stickstoff landet dann später zum Großteil im Samen. 

Die Chancen auf Klimaebene sind zweierlei:
Zum einen bieten Hülsenfrüchte als Lebensmittel aufgrund der obigen Erklärung ein viel ressourcenschonenderes Protein als tierische Proteine.
(Im Vergleich zum Standardfall Soja, das an Tiere verfüttert wird:
ich bin großer Fan von Nutztierhaltung, wenn sie schlau eingesetzt wird- auf Grünflächen, im Mob-Grazing, als Teil von Agroforstsystemen, syntropischer Landwirtschaft, und in ihrer Dichte begrenzt auf die Ökosysteme…).
Das lässt sich auf Ebene von C02, Wasser, Landnutzung,… ausdrücken. Dazu kommt natürlich die Frage der Klimagerechtigkeit, wenn wir viel mehr Ressourcen verwenden, als uns zustehen und dabei anderen die Lebensgrundlage nehmen.
Zum Anderen bieten Leguminosen innerhalb der Fruchtfolge auch einen ressourcenschonenderen Dünger im Vergleich zu mineralischem Dünger (wie gesagt, aus der Luft). Durch deren Einsatz können also die Energiekosten von landwirtschaftlicher Produktion eingedämmt werden. Außerdem können sie positive Effekte auf die Biodiversität haben (i.e. Bestäuber, Bodenleben) und auf die Bodengesundheit, was dann wiederum möglicherweise auch einen positiven Effekt auf die C02-Emissionen des Bodens hat (aber an dieser Frage wird noch geforscht).

Landwirt:innen brauchen verbindliche Abnehmer:innen und gute Preise, um neue (inhärent risikoreiche) Kulturen anzubauen. Verarbeiter:innen und Konsument:innen brauchen die verlässliche Verfügbarkeit solcher Sorten um Rezepte und Produkte auf den Markt zu bringen. Wer fängt an? Am besten gemeinsam mit geteiltem Risiko.

Was sind die wichtigsten Punkte, die sich deiner Meinung nach in den kommenden Jahren innerhalb der Lebensmittelbranche, Gastronomie und Landwirtschaft verändern müssen und warum? 

Reduktion tierischer Produkte auf die ökologischen Grenzen; Aufbau direkter Erzeuger:innen-Verarbeiter:innenbeziehungen, die solidarisch finanziert das Risiko von Experimenten teilen (vor allem Vervielfältigung der Ackerstrukturen (Intercropping, Agroforst,…), Minimierung von Energieeinsatz; Biodiversität auf Sortenebene und Naturschutzebene); bessere Erzeuger:innenpreise; neue digitale Technologien, die ökologische Ziele erfüllen (i.e. Erntemaschinen für Intercropping); systemische Entscheidungen (die Umwelt, Gesundheit, Ressourcen und Menschen mitdenken) – eine neue Bescheidenheit? …

 

Wie kann deiner Meinung nach die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Gastronomie – Landwirtschaft – Lebensmittelhandwerk in Bezug auf Hülsenfrüchte gestärkt werden?

Mehr spannende Sorten für die menschliche Ernährung auf unsere Felder (das braucht Kollaboration, denn Wandel ist in der Landwirtschaft eine Herausforderung) und mehr Wissen darüber, wie man Hülsenfrüchte kulinarisch spannend macht- die Welt ist dabei voller Inspirationen! Hülsenfrüchte sind in einem Teufelskreis, aus dem wir gemeinsam ausbrechen müssen: Landwirt:innen brauchen verbindliche Abnehmer:innen und gute Preise, um neue (inhärent risikoreiche) Kulturen anzubauen. Verarbeiter:innen und Konsument:innen brauchen die verlässliche Verfügbarkeit solcher Sorten um Rezepte und Produkte auf den Markt zu bringen. Wer fängt an? Am besten gemeinsam mit geteiltem Risiko.


Warum bist du Teil der
Gemeinschaft und was wünschst du dir für die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft?

Weil ich durch viele spannende Menschen meine eigene Wissbegierde und Neugier nähren kann und für meine eigenen Fragen und Gedanken auf neugierige Ohren stoße. Genau die Schnittstelle Landwirtschaft und Ernährung/Genuss interessiert mich brennend, und dafür bin ich bei Die Gemeinschaft e.V. an richtigen Stelle.

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