Viniculture
Stellt euch bitte kurz vor. Wer seid ihr, wie heißt euer Unternehmen und wo befindet es sich?
Viniculture war einer der ersten Weinläden in Deutschland, die sich auf Naturwein spezialisiert haben. Unsere Weine importieren wir direkt von kleinen Produzent:innen aus verschiedenen europäischen Ländern, und wir arbeiten eng mit der Gastronomie zusammen – hauptsächlich in Berlin, aber immer mehr auch in anderen Städten. Aber wir haben immer noch unseren Laden in der Grolmanstr. 44-45 in Berlin, den es schon seit den 80ern gibt. Wenn Ihr uns kennenlernen möchtet, kommt gerne einmal vorbei.
Was unterscheidet euch zu anderen Weinläden? Was ist das Besondere an Viniculture?
Wenn man’s runterbricht: unser Team und unser Sortiment! Irgendwie hat Holger [Schwarz] es geschafft, hier eine Gruppe wirklich besonderer Menschen zu versammeln, die alle für ihren Job brennen. Ihr werdet kaum einen anderen Laden finden, wo so viele engagierte und ernsthaft kompetente Leute arbeiten wie bei uns. Viele von ihnen kommen aus der Gastronomie, was extrem hilfreich ist, wenn man mit vielen Restaurants arbeitet. Aber auch das Sortiment ist besonders: gerade weil wir so früh damit angefangen haben, mit Naturweinen zu arbeiten, dürfen wir viele großartige Winzer:innen importieren, die damals noch Schwierigkeiten hatten, ihre Weine zu verkaufen – Weine, die heute nicht einmal mehr in den Regalen landen.
„Wir verstehen zu oft die Kolleg:innen, die ähnlich arbeiten wie wir als Konkurrenz, anstatt gemeinsam an der Vergrößerung unserer Nische zu arbeiten, woran wir sowohl ein wirtschaftliches als auch ein politisches Interesse haben müssten.”
Ihr seid in der Naturweinszene seit langem etabliert. Naturwein ist seit wenigen Jahren auf den Weinkarten zu finden und auch eher in Großstädten. Warum habt ihr euch früh dafür entschieden, euch darauf zu fokussieren?
Wenn man Holger fragt, hatte das damals hauptsächlich mit Langeweile zu tun. Um 2006 herum hat er schon etwa 10 Jahre bei Viniculture gearbeitet, das damals noch dem Vorbesitzer gehörte. Das Sortiment war klassisch, die Weine weitgehend uniform. Holger hatte damals schon das ganze Karussell der Sommelierie durchlaufen: Restaurants, Wettbewerbe, etc. – und langsam wurden ihm die Weine zu eintönig. Und als er dann eines Tages in Spanien auf den Bassots von Joan Ramón Escoda-Sanahuja probierte (einen maischevergorenen, also „orangenen” Chenin blanc aus Katalonien), machte es bei ihm direkt Klick: das war vollkommen anders als alles, was er vorher getrunken hatte, wild, stoffig und ungestüm. Der Einstieg war also zunächst vor allem ein sensorischer. Die Gedanken an ökologischen Anbau, Biodynamie, usw. kamen erst später, als Holger sich auf die Suche nach dem Grund dafür machte, warum die Weine so anders waren.
Wie hat sich die Trinkkultur in den letzten Jahren verändert? Wo habt ihr in den letzten Jahren eine spürbare Veränderung erlebt?
Wein ist in den letzten Jahren jünger und modischer geworden. Naturwein ist nicht nur durch den ökologischen Anspruch, sondern auch durch die oft buntere und frechere Aufmachung zu einem life style Produkt geworden, das zum Fotografieren und Teilen einlädt. Das ist eine der schönen Seiten des Zusammentreffens von Naturwein und den sozialen Medien: das bessere, nachhaltigere Produkt aus kleiner Produktion, bekommt wegen seines ungewöhnlichen Designs und der begrenzten Verfügbarkeit plötzlich einen gewissen Sex-Appeal, weil der Wein als Distinktionsmerkmal funktioniert. Es ist schön, wenn Nachhaltigkeit mal gut zu vermarkten ist. Eine andere Beobachtung: die Menschen (wenigstens in Berlin) gehen immer bewusster mit ihrem Alkoholkonsum um. Wir haben vor kurzem angefangen, auch mit hochwertigen alkoholfreien Produkten zu arbeiten
– und die Nachfrage ist gewaltig!
Es geht eigentlich immer um möglichst langfristige, direkte Beziehungen, um ihnen und uns das Planen zu ermöglichen und zu erleichtern – und dem ökonomischen Faktor einen menschlichen an die Seite zu stellen.
Ihr habt ein besonders enges Verhältnis zu euren Winzer:innen, was macht das für einen Unterschied?
Das sind ziemlich viele. Zum einen gibt es ein gewisses Vertrauensverhältnis, dass es den Winzer:innen erlaubt, hier und da mehr Risiko einzugehen (zum Beispiel mal einen Wein nicht zu schwefeln): wir garantieren, dass wir die Menge abnehmen, und vertrauen unsererseits dem Geschick der jeweiligen Person – was auch nur möglich ist, weil wir die Menschen hinter den Weinen gut kennen. Das Ergebnis sind dann zum Beispiel gemeinsame Projektweine. Aber es findet generell einfach mehr Austausch statt: darüber, was die Winzer:innen gerne machen würden, und darüber was wir wie verkaufen können. Wir versuchen dabei eigentlich immer, unseren Produzent:innen so viel wie möglich zu ermöglichen.
In der Praxis hat es dann aber auch einfach viel mit der Abstimmung von Lieferungen, Zahlungszielen und dergleichen zu tun. Wenig romantisch, aber wichtig! Es geht eigentlich immer um möglichst langfristige, direkte Beziehungen, um ihnen und uns das Planen zu ermöglichen und zu erleichtern – und dem ökonomischen Faktor einen menschlichen an die Seite zu stellen.
„Es geht eigentlich immer um möglichst langfristige, direkte Beziehungen, um ihnen und uns das Planen zu ermöglichen und zu erleichtern – und dem ökonomischen Faktor einen menschlichen an die Seite zu stellen.”
Wein ist eines der wenigen landwirtschaftlichen Produkte, die höher wertgeschätzt und bewertet werden. Was können Landwirt:innen von Winzer:innen lernen?
Storytelling und Verknappung. Das besondere an Wein ist letztendlich seine Spezifizität: ein bestimmter Wein aus einer bestimmten Traubensorte, von einem bestimmten Ort, aus einem bestimmten Jahr, von einer bestimmten Person auf eine bestimmte Art und Weise gemacht. Das sorgt für Vergleichbarkeit ohne Austauschbarkeit. Allerdings ist Wein nicht das gleiche, wie einfach “nur” Trauben: Wein ist ein aufwändig verarbeitetes Produkt, das vielleicht eher mit Käse als Karotten vergleichbar ist. Vielleicht wäre also der andere, schwieriger umzusetzende Punkt: Möglichkeiten der Wertschöpfung zu finden, die weitere Spezifizierungen erlauben.
Wie kann eurer Meinung nach das Netzwerk und die Wertschätzung von guten Produkten auch in anderen Bereichen der Landwirtschaft stattfinden?
Die Identität bestimmter Sorten müsste konkreter werden. Bisher sind bestimmte Produkte aus bestimmten Regionen bekannt – zum Beispiel Beelitzer Spargel –, aber außer Bauern oder Köchinnen weiß keiner, WAS den eigentlich auszeichnet. Kaffee macht das zum Beispiel auch: Land + Sorte + Methode + Rösterei = individuelles Profil. Das Problem ist vielleicht, dass das Packaging bei Weinen (und Kaffee) super wichtig ist, und die Sachen oft überhaupt erst in den sozialen Medien verbreitbar und wiedererkennbar macht. Ohne das samt Produkt eingekaufte symbolische Kapital wird’s wahrscheinlich schwierig, sich mit dem entsprechenden Lifestyle zu schmücken. Das spräche wieder für weiterführende, weiterverarbeitete Produkte, die sich schicker verpacken ließen. Vermutlich ist der wertsteigernde Weg über die Gastronomie allerdings sinnvoller. Restaurants müssten teurer sein “dürfen” – und die Menschen bräuchten im Schnitt mehr Geld, und müssten mehr davon für Essen ausgeben.
„Kleinteiliger und aufwendiger Anbau, der Verzicht auf Mechanisierung im Weinberg und im Keller, das Risiko, dem sich besonders Naturweinwinzer:innen aussetzen, das alles hat seinen Preis. […]
Wir plädieren dann zwar (ähnlich wie bei Fleisch) dazu, lieber weniger aber besser zu konsumieren, aber insgesamt ist es in einer Wirtschaft mit dermaßen viel Ungleichheit einfach nicht angemessen, nur Verzicht zu predigen.”
Ihr legt besonderes Augenmerk auf die Menschen hinter den Weinflaschen in eurer Öffentlichkeitsarbeit. Wieso? Verändert sich dadurch das Kaufverhalten?
Ja. Sowohl kurzfristig als auch langfristig. Kurzfristig erlaubt es ein menschlicheres, persönlicheres Storytelling über unsere Weine, die ja auch tatsächlich von Menschen angebaut und gemacht werden, die wir persönlich kennen. Es gibt den Weinen eine extra Dimension, die sonst nicht da wäre, genauso wie es uns mehr Emphase beim Erzählen ermöglicht. Man redet anders über Menschen, die man kennt, als über Fremde. Langfristig bindet es Kund:innen an Produzent:innen, wie etwa an die Autor:in ihres Lieblingsbuchs: es macht, dass sie neugierig auf neue Weine und Jahrgänge sind, es macht, dass sie eine irgendwie persönliche Beziehung zu den Produkten aufbauen, vielleicht sogar einmal den Menschen dahinter kennenlernen wollen, also auch entsprechende Veranstaltungen besuchen. Die Kund:innen posten und schreiben dann auch lieber bei Social Media. Winzer:innen haben Fans, und das ist eine viel intensivere Verbindung als nur ein Produkt zu kaufen.
Die Weinwelt wird oft als elitär dargestellt. Trinken nur wohlhabende Menschen guten Wein?
Öfter als uns lieb ist, ja. Kleinteiliger und aufwendiger Anbau, der Verzicht auf Mechanisierung im Weinberg und im Keller, das Risiko, dem sich besonders Naturweinwinzer:innen aussetzen, das alles hat seinen Preis. Es ist deshalb schwierig, “echte” Naturweine unter ca. 10 Euro zu finden. Wenn man bedenkt, dass die Deutschen im Schnitt nur etwa 3 Euro für einen Liter Wein ausgeben, muss man das schon etwas elitär nennen. Wir plädieren dann zwar (ähnlich wie bei Fleisch) dazu, lieber weniger aber besser zu konsumieren, aber insgesamt ist es in einer Wirtschaft mit dermaßen viel Ungleichheit einfach nicht angemessen, nur Verzicht zu predigen. Ein definitiver Vorteil an Naturwein ist, dass er mit vielen Konventionen gebrochen hat, die lange Zeit Wein mit viel kulturellem Kapital und Geheimwissen verbunden haben. Es bildet sich zwar auch immer mehr eine eigene Subkultur heraus, die ihre eigene Etikette und ihre eigenen Regeln hat, aber insgesamt ist sie doch offener und weniger elitär als das alte Regime der konventionellen, konservativen Weinwelt.
„Wir müssen uns sicherlich weiter für einen Wandel im Anbau einsetzen […]. Permakultur und regenerative Landwirtschaft weisen hier aktuell den Weg.[…] Die Bezahlung ist in der ganzen Szene und entlang der ganzen Wertschöpfungskette ziemlich bescheiden, und wie in anderen Teilen der Gesellschaft werden Sexismus und Rassismus in der Branche zu selten thematisiert, sodass damit verbundene Ungerechtigkeiten andauern.”
Auch die Weinwelt wird politisch. Was für Themen sind wichtig für die Zukunft und wofür muss sich eingesetzt werden?
Die Aufgaben sind vielfältig. Wir müssen uns sicherlich weiter für einen Wandel im Anbau einsetzen: mehr Winzer:innen müssen biologisch arbeiten, und die, die es bereits tun, sollten Schritte weg von der Monokultur machen, die im Weinbau allgegenwärtig ist. Permakultur und regenerative Landwirtschaft
weisen hier aktuell den Weg.
Aber im Weinbau und in der Weinszene ganz allgemein sind auch Themen der sozialen Gerechtigkeit wichtig (bzw. sollten es werden): die Bezahlung ist in der ganzen Szene und entlang der ganzen Wertschöpfungskette ziemlich bescheiden, und wie in anderen Teilen der Gesellschaft werden Sexismus und Rassismus in der Branche zu selten thematisiert,
sodass damit verbundene Ungerechtigkeiten andauern.
Als Händler steht ihr zwischen den Winzern und Konsument:innen. Oft wird dem Handel vorgeworfen zu hohe Margen zu nehmen und es hat eher ein schlechtes Image. Wo seht ihr Potenziale zur Unterstützung von handwerklicher Herstellung und guter Landwirtschaft?
Besonders im Aufbau von Winzer:innen, bzw. Stilen und Marken. Es gibt irgendwann einen Kipp-Punkt, an dem ein:e Erzeuger:in so bekannt und die Produkte so gefragt sind, dass die (Zwischen)Händler vielleicht wirklich überflüssig wären, von ihrer Rolle in der Logistik und Verteilung mal abgesehen. Allerdings bekommen viele Kunden, ob privat oder in der Gastronomie, bestimmte Weine überhaupt erst mit, weil sich Importeure und Händler:innen die Arbeit des Scoutings machen und das erste Risiko auf sich nehmen, die Produkte einzukaufen. Sie sichern dadurch auch den Produzent:innen die direkte Bezahlung größerer Mengen (oft auch über größere Zeiträume), und geben ihnen dadurch Planungssicherheit. Winzer:innen haben auch nicht zwangsläufig immer die Expertise und die Muße, bzw. Zeit für die Vermarktung ihrer Weine. Wir übernehmen für viele unserer Winzer:innen gewissermaßen die Rolle als Agent.
Letztendlich muss unsere Expertise in diesen Dingen dabei helfen, die Weine zu den Preisen zu verkaufen, die unserem Produzent:innen erlauben, langfristig gute Landwirtschaft zu betreiben. Diese Preise sind oft etwas höher, und erfordern entsprechend mehr Erklärungs- und Überzeugungsarbeit.
„Wir brauchen noch viel mehr Austausch, gerade auch mit Menschen außerhalb unserer Blase. […] Aber auch in unserer Bubble der Weinwelt braucht es ein Umdenken. […] Zu guter Letzt ist es auch einfach inspirierend sich mit anderen Menschen auszutauschen, die ähnlich für gute Produkte aus guter Landwirtschaft brennen. Das erinnert uns gelegentlich daran, warum wir das hier überhaupt alles machen.”
Wo spielt Wissensvermittlung für euch eine Rolle?
Immer und überall. Naturwein war (und ist immer noch) ein erklärungsbedürftiges Produkt: die Weine sehe anders aus, riechen und schmecken anders als Menschen es oft gewohnt sind (auch wenn sich in den Städten in den letzten Jahren die Normalität verändert hat), und kosten oft mehr. Sowohl in unserer Arbeit mit Endverbraucher:innen als auch der Gastronomie müssen wir deshalb sehr viel erklären und erzählen. Wir müssen dabei auch selbst auf einem Niveau sein, das die Arbeit auf Augenhöhe mit einigen der besten Sommeliers und Sommelièren Deutschlands ermöglicht. Darüber hinaus sind wir auch im ständigen Austausch mit unseren Winzer:innen, wobei wir uns gegenseitig sehr viel helfen können. Wir befinden uns gewissermaßen an der Schnittsteller aller Beteiligten, und diese Schnittstelle verteilt nicht nur Wein, sondern auch Wissen und Informationen.
Warum seid ihr Mitglied der Gemeinschaft geworden?
Gerade weil wir so viele Berührungspunkte mit so vielen Menschen auf allen Ebenen der Wertschöpfungskette haben, ist uns sehr bewusst, dass keiner von uns isoliert überleben kann. Wir sind verstrickt in ein Netz aus Abhängigkeiten, sodass Handeln (auch politisches) nur dann möglich wird, wenn alle sich gemeinsam in die gleiche Richtung bewegen. Wir finden es spannend, welche Möglichkeiten des Austauschs und des gemeinsamen Handelns Die Gemeinschaft uns im Berliner Raum ermöglicht.
Die Weinwelt ist schon ziemlich gut vernetzt. Wo seht ihr Potenziale in weiterer Zusammenarbeit? Und wo braucht es noch mehr davon?
Wir brauchen noch viel mehr Austausch, gerade auch mit Menschen außerhalb unserer Blase. Gerade auf der landwirtschaftlichen Seite ist der Austausch extrem fruchtbar: wenn sich zum Beispiel eine Winzerin mit einer Schäferin austauscht und sie sich entschließen, gemeinsame Sache zu machen. Gerade für den Schritt aus der Monokultur im Weinbau heraus,
braucht es mehr Wissen, besonders praktisches.
Aber auch in unserer Bubble der Weinwelt braucht es ein Umdenken. Wir verstehen zu oft die Kolleg:innen, die ähnlich arbeiten wie wir als Konkurrenz, anstatt gemeinsam an der Vergrößerung unserer Nische zu arbeiten, woran wir sowohl ein wirtschaftliches als auch ein politisches Interesse haben müssten.
Zu guter Letzt ist es auch einfach inspirierend sich mit anderen Menschen auszutauschen, die ähnlich für gute Produkte aus guter Landwirtschaft brennen. Das erinnert uns gelegentlich daran, warum wir das hier überhaupt alles machen. Das gibt langen Atem – und den werden wir brauchen.
Fotos:
Zoe Spawton