Schnelles Grünzeug
Im Nordosten Deutschlands, zwischen Mecklenburger Seenplatte und Ostseeküste gelegen, lebt und arbeitet Olaf Schnelle, der in seiner Gärtnerei und Manufaktur sowohl Gemüse anbaut als auch fermentiert. Wir sprechen mit ihm darüber, wie wichtig Vielfalt und eine hohe Bodenfruchtbarkeit sind und inwiefern reale Preise das Lebensmittelsystem verändern könnten.
Olaf, was macht deine Gärtnerei aus?
Ich betreibe seit 20 Jahren die Gärtnerei Schnelles Grünzeug, wobei der Begriff Gärtnerei mittlerweile ein bisschen zu eng gefasst ist, denn neben der Gärtnerei betreibe ich auch eine Manufaktur, in der ich sowohl meine Gemüseüberschüsse als auch die der benachbarten Gärtnereien fermentiere. Ich nutze die Milchsäurefermentation für verschiedenste Gemüse, das hat mittlerweile einen ziemlich großen Umfang erreicht. Mittlerweile habe ich fünf Angestellte – Gott sei Dank, sonst könnte ich dieses Interview nicht führen (lacht).
Welche Themen beeinflussen deine Arbeit am stärksten?
Die Steigerung der Vielfalt ist eines der zentralen Themen in meiner Arbeit, und zwar in jeder Hinsicht. Vielfalt wirkt immer stabilisierend, auf alles. Das spiegelt sich eigentlich in jedem meiner Lebensbereiche wider – indem ich meine Gärtnerei vielfältig aufstelle, gerate ich weniger in wirtschaftliche Schwierigkeiten, das ist insbesondere in der aktuellen Zeit nochmal wichtiger. Indem ich das Bodenleben so vielfältig wie möglich entwickle, wird der Boden fruchtbarer. Und auch indem ich Kontakt zu Menschen habe, zum Beispiel zu konventionellen Landwirt:innen, die die Dinge ganz anders angehen als ich, erhalte ich Vielfalt. Auch wenn es oft frustrierend ist, ist es dennoch ein guter, wichtiger Austausch, da ich verstehen möchte, warum sie so arbeiten, wie sie arbeiten.
Welche Erkenntnisse ziehst du aus diesem Austausch?
Durch den Kontakt bemerkt man Dinge, die man vielleicht in einer direkten Konfrontation nicht bemerkt hätte. Zum Beispiel, dass mein Nachbar mit 2500 Hektar Fläche den gleichen Bodenkulturkurs belegt, den ich vor Jahren besucht hab. Oder dass er jetzt mit einer Agroforstwirtschaft anfängt und auf einmal Kompost auf seiner Fläche aufbringt, sprich, sich seine Herangehensweise an das Thema Gründüngung ändert.
Ist es dein Ziel, andere Landwirt:innen durch deine Arbeit zu beeinflussen?
Ich freue mich natürlich total, wenn mein Nachbar anfängt, ökologischer zu denken. Denn der wird wiederum von seinen Kollegin:innen ernst genommen und beobachtet, so kann es größere Kreise ziehen. Wenn der jetzt anfängt, gewisse Dinge umzustellen, wird es Einfluss auf viele haben.
Was begeistert dich an deiner Arbeit am meisten und warum hast du dich entschieden, Gärtner zu werden?
Lange Zeit dachte ich, dass das Anbauen des eigenen Gemüses einen hohen Sicherheitswert bietet. Außerdem ist es schlichtweg ein sehr schöner Beruf, mit dem man seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Die materiellen, finanziellen Aspekte sind allerdings für mich als Mensch, der in einer völlig kapitalistischen Umwelt leben muss, auch wichtiger geworden. Ich wollte von Anfang an nur Biolandwirtschaft betreiben, aber immer auf eine Art und Weise, wie sie nicht abschreckend auf andere wirkt. Ich will als ökologischer Landwirt nicht das Bild vermitteln am Hungertuch nagen zu müssen, wie es bei einigen Kolleg:innen der Fall war, ich finde das insbesondere für junge Menschen sehr abschreckend – aber genau die brauchen wir ja als Nachfolger:innen. Von daher ist mir eine gewisse wirtschaftliche Orientierung von Anfang an wichtig gewesen. Das hat mir in der Ökoszene, in der ich mich bewege, viel Kritik eingebracht. Inzwischen merke ich aber, wie groß das Interesse an meiner Gärtnerei ist, was auch daher kommt, da ich es schaffe, ökologische und wirtschaftliche Aspekte miteinander zu verbinden. Und es ist einfach eine große Freude, zu sehen, wie Grundüberzeugungen tatsächlich zum Wirken kommen – zu sehen, wie mein Boden immer fruchtbarer wird, obwohl ich ihn bewirtschafte, das begeistert mich.
Dass sich Bodenbewirtschaftung und -fruchtbarkeit ausschließen ist ja immer noch ein weit verbreiteter Trugschluss, oder?
Im Studium wurde uns gelehrt, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist, Gemüseanbau ohne Verlust von Fruchtbarkeit zu betreiben. Es war immer die Aufgabe, dem Verlust mittels Tricks wie chemischer Düngung entgegenzuwirken. Ich kann mittlerweile sagen, dass ich hier eine Bewirtschaftung habe, die ohne jeglichen Zukauf von Düngemitteln funktioniert. Denn durch unsere Anbauweise generieren sich die Nährstoffe selber, der Nährstoffkreislauf schließt sich quasi von allein. Das ist ein komplexer Prozess; zu sehen wie der funktioniert bzw. wie Dinge funktionieren, von denen immer gesagt wurde, dass sie so niemals gehen würden, macht unheimlich Spaß, da spielt auch eine gewisse Entdeckerfreude mit rein.
Wie hat sich das genau entwickelt?
Bestimmte Sachen ahnt man sein Leben lang, arbeitet sich amorph einem Ziel entgegen – und auf einmal gibt es dann eine Initialzündung, bei der du alle Faktoren, von denen du bereits gespürt hast, dass sie wirksam sind, in ein geordnetes System rücken kannst. Bei mir war es ein Bodenkulturkurs vor drei Jahren, in dem alle Erkenntnisse zusammenkamen und ein logisches Ganzes ergeben haben. Das hab ich Dietmar Näser zu verdanken, der eine großartige, praxisnahe Bodenkunde lehrt. Die einerseits auf einer extrem komplexen Theorie beruht, aber andererseits total praxistauglich ist – das ist das Schöne daran.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit deinen Kund:innen aus, besprecht ihr gemeinsam, welche Anforderungen es an die Produkte gibt?
Ich hab es häufiger versucht, mit meinen Kund:innen in eine Art Anbauplanung zu kommen, merke aber, wie schwierig es ist – das liegt vor allem daran, dass Köch:innen es nicht gewohnt sind, in solch langen Zyklen vorausdenken, denn wer weiß heute schon, was er:sie in 10 Monaten kochen will? Das zu wissen wäre für uns Gärtner:innen extrem wertvoll, da wir jetzt im November, Dezember unser Saatgut für das kommende Jahr kaufen müssen. Ich hab mittlerweile erkannt, und das meine ich völlig wertungsfrei, dass die wenigsten Köch:innen so denken können und vermute außerdem, dass es den kreativen Kochprozess massiv stören würde. Sie brauchen Flexibilität, um kreativ zu sein. Oft bestimmt das verfügbare Tagesangebot dann einfach, was auf dem Tisch landet – im Zweifelsfall ist mir das sogar die sympathischere Küche, als dass alles minutiös bis ins kleinste Detail durchgeplant ist.
Welche Verantwortung haben Landwirt:innen und Gärtner:innen heutzutage ihrer Umwelt gegenüber?
Eine ganz massive. Wir nutzen in Deutschland eine gigantisch große Fläche für die Landwirtschaft. Alle Bäuer:innen, die behaupten, dass sie mit ihrem Land machen können, was sie wollen, handeln schlichtweg ignorant der Gesellschaft gegenüber. Denn unser Handeln beeinflusst die Artenvielfalt, die Bodenqualität, die Emissionen. Wir haben einen enormen Einfluss auf den Klimawandel, leider ist uns Gärtner:innen und Landwirt:innen nur in den seltensten Fällen klar, wie groß dieser Einfluss tatsächlich ist. Wenn die Landwirt:innen begreifen würden, dass sie aktuell als Verpester:innen gelten, gleichzeitig aber die Chance haben, genau das Gegenteil zu sein, könnten sie sich als wirklich wertvoller Teil der Gesellschaft darstellen. Sich aber ständig zu brüskieren, dass sie ja alle Lebensmittel produzieren, ist nur ein Schutzschild, das von der eigentlichen Verantwortung ablenkt. Das ist das eine, das andere ist ganz simpel: Wir Landwirt:innen und Gärtner:innen sind in der Verantwortung, unserer Gesellschaft wirklich gesunde Lebensmittel zu erzeugen und zur Verfügung zu stellen. Das ist ganz banal, aber leider ist eben nicht alles, was auf den Feldern wächst, vollwertig ernährt. Nur vollwertig ernährte Pflanzen sind auch vollwertige Lebensmittel.
Warum bist du Mitglied der Gemeinschaft geworden?
Mich interessiert der Austausch ganz enorm, sowohl mit Kolleg:innen als auch Kund:innen. Ich bin hier weit ab von jeglicher Szene, drei Stunden von den Hotspots der Kulinarik entfernt, will aber meinen Lebensunterhalt damit verdienen, dass ich genau diese Leute erreiche. Wenn du so weit entfernt bist, musst du in deinen Entwicklungen attraktiv bleiben und mit der Zeit gehen, alles beobachten. Dazu ist der ständige Austausch innerhalb einer Gruppe enorm wichtig. Das andere ist, dass es wirklich viele nette Leute dabei sind, mit denen es einfach richtig Spaß macht, zusammenzuarbeiten. Die eben nicht nur irgendwie nett sind, sondern dazu auch wirklich etwas bewegen. Und weil die Gemeinschaft mehr und mehr Wert auf die Wissensvermittlung und den Aufbau des Berufsnachwuchses legt, fühle ich mich da wirklich gut aufgehoben, denn das ist mein aktuelles Lebensthema. Von daher gibt es da eine schöne Übereinstimmung der Interessen.
“Denen einen Weg zu zeigen, wie sie als gleichberechtigte Marktteilnehmer agieren können und von ihrem bequemen Subventionsdenken wegkommen, würde das gesamte Spiel verändern. Was aber auch wieder sehr politisch ist.”
Welche Ziele gibt es innerhalb der Gemeinschaft, die du erreichen willst?
Ich bin jetzt 55 und hab hier etwas geschaffen – ich glaube, dass es jetzt an der Zeit ist, mein Know-How weiterzugeben, denn sonst geht es irgendwann verloren. Daher befasse ich mich grade mit dem Aufbau einer Austauschplattform, bei der es sowohl darum geht, meinen Berufsnachwuchs zu fördern, also zu zeigen, wie man gärtnert, wie man fermentiert, aber auch insgesamt den Austausch innerhalb der unterschiedlichen Gewerke zu stärken. Mir ist in meinem Berufsleben so viel Unwissenheit entgegengebracht worden, das müssen wir unbedingt ändern. Teilweise wissen Köch:innen nichts über die Arbeit als Gärtner:in und andersherum lernen wir Gärtner:innen nichts darüber, was für Köch:innen überhaupt interessant ist. Ich bin oft erstaunt, worauf sie eigentlich achten. Da stellt man interessante Pflanzen vor, dein Gegenüber schaut aber auf das Kraut daneben. Außerdem möchte ich, dass wir eine Basis schaffen können, unsere Arbeit auch nachhaltig wirtschaftlich zu betreiben. Das bedeutet, dass wir als Gemeinschaft größer werden müssen – nicht auf Teufel komm raus, sondern durch qualitatives Wachstum, das von einer wirtschaftlichen Stärkung begleitet ist.
Wenn wir nochmal aus dem kleineren Kosmos der Gemeinschaft herauszoomen und in das große Ganze übergehen – hast du in den letzten Jahren spürbare Veränderungen im Lebensmittelsystem bemerkten können?
Man läuft bei solchen Aussagen leicht die Gefahr, zu sehr innerhalb seiner Blase zu denken, Themen zu benennen, die vielleicht gesamtgesellschaftlich so gar nicht existieren. Ich denke aber schon, dass die Leute mittlerweile stärker über das Essen und die Art der Landbewirtschaftung nachdenken. Es gibt viele kleine und größere aktive Bewegungen, die ganz ähnliche Ziele wie wir als Gemeinschaft verfolgen. Und die haben natürlich einen Einfluss auf das gesamte Lebensmittelsystem, auch wenn es noch eher marginal ist. Aber wenn ich sehe, dass mittlerweile sogar Lidl Produkte aus Permakulturanbau aus Spanien im Sortiment hat, kann man das entweder verteufeln oder aber man betrachtet es als Fortschritt, da dieser Permakulturbetrieb sich ganz massiv von den anderen Farmen dort unterscheidet. Da muss man nur mal durch die Plantagen gehen – der Betrieb, mit dem Lidl arbeitet, zeigt zum Beispiel keine Bodenerosionen. Dass Lidl sich in diese Richtung bewegt, hat natürlich mit uns allen zu tun, sonst würden sie es nicht machen. Von daher, ja, ich sehe da eine Veränderung von der ich hoffe, dass sie immer weitere Kreise zieht. Wir werden aber noch lange sehr aktiv bleiben müssen. Außerdem erleben wir mittlerweile innerhalb der Bioszene eine Industrialisierung, die auch nicht Sinn der Sache sein kann. Wenngleich jedes industriell hergestellte Produkt immernoch einen kleinen Ticken wertvoller für die Umwelt ist, als jedes konventionell hergestellte Produkt.
Bei welchen Themen innerhalb der Lebensmittelerzeugung siehst du den größten Änderungs- und Handlungsbedarf?
Das wichtigste, weil es so offensichtlich ist, ist, dass wir zu einer Gesamtkostenrechnung kommen müssen. Das ist sinnvoller als jede Lebensmittelampel. Wenn sich CO2-Freisetzung und -Speicherung im Preis widerspiegeln, kann keiner mehr sagen, dass die Leute billige, sagen wir mal Milch, wollen. Wenn sich mein Nachbar mit 1500 Kühen im Stall wundert, warum ich lieber teure Hafer- statt billiger Kuhmilch kaufe, kann ich ihm nur entgegnen, dass er sich mal vorrechnen soll, was sein Betrieb wirklich kostet, was es die Umwelt kostet, durch die ganze Gülle und Abgase verpestet zu werden. Wenn man daran mal Preise hängen könnte, wäre seine Milch für die Endkund:innen eben nicht mehr für einen Euro zu haben, sondern sie müssten viel mehr Geld zahlen, mit dem die entstandenen Schäden dann ausgeglichen werden können. Das wäre ein wirklich wichtiger Faktor: Lebensmittel mit realen Preisen zu versehen, die sowohl Umweltauswirkungen berücksichtigen als auch die ganz normalen Bedürfnisse der Produzent:innen.
Also muss der politisch festgelegte Maßstab ganz anders angelegt werden?
Ganz genau. Genauso wie es eine politische Entscheidung wäre, Bio-Lebensmittel nicht mehr mit Bio zu kennzeichnen, sondern einfach als Lebensmittel und die konventionellen Produkte müssten mit einem Warnschild versehen werden. Das wäre die realistischere Wirtschaft. Das müsste man auf ganz konkrete, leicht umsetzbare Maßnahmen herunterbrechen. Da ist für mich aktuell der wichtigste Hebel der Boden. Wir Gärtner:innen arbeiten alle mit diesem begrenzten Medium, die Bedeutung des Bodens ist dabei den wenigsten Menschen klar, sowohl auf Konsument:innenseite als auch erschreckenderweise auf Erzeuger:innenseite. Dabei kann der Boden genau der Hebel sein, über den Biolandwirt:innen mit konventionellen Erzeuger:innen ins Gespräch kommen können. Landwirt:innen untereinander überhaupt miteinander ins Gespräch kommen, ohne da diese Trennung zwischen Bio und Nicht-Bio zu ziehen. Wichtig ist dabei, dass wir den Landwirt:innen Mut machen und Möglichkeiten aufzeigen, wie sie vom:von der reinen Lieferanten:in wieder zum Verkaufenden werden. Die produzieren da etwas, über das sie gar nicht die Macht haben, den Preis zu bestimmen, da sie immer den Preis akzeptieren müssen, der ihnen genannt wird. Die konventionellen Bäuer:innen leider unter einem gehörigen Minderwertigkeitskomplex, weil sie zwar große Traktoren fahren, aber nicht in der Lage sind, ihren Weizen zu verkaufen. Das ist richtig erniedrigend, das muss man sich mal vorstellen. Denen einen Weg zu zeigen, wie sie als gleichberechtigte Marktteilnehmer agieren können und von ihrem bequemen Subventionsdenken wegkommen, würde das gesamte Spiel verändern. Was aber auch wieder sehr politisch ist.
Text und Bearbeitung
Carolin Foelster