Kristiane Kegelmann
Kristiane Kegelmann arbeitet als Patissière und Künstlerin mit einem kleinen Team in Berlin. Wie sich diese zwei Bereiche gegenseitig beeinflussen, welchen Schwierigkeiten sich das Patisserie-Handwerk stellen muss und was die Preise damit zu tun haben, erzählt sie uns in ihrem Atelier in Kreuzberg.
Hallo Kristiane, du bist ausgebildete Patissière und Künstlerin – was hat dich speziell am Patisserie-Handwerk begeistert?
Angefangen hat es mit einem Schulpraktikum in einer Biokonditorei in München, dort habe ich auch meine Ausbildung gemacht. Ich wusste auf jeden Fall immer, dass ich etwas mit meinen Händen machen will und wollte damals nicht zur Uni gehen. Ich habe in meiner Jugend immer viel gebacken, das kann ich heutzutage gar nicht mehr nachvollziehen (lacht). Und Essen hab ich immer geliebt, damals vor allem Süßspeisen. Aber der Weg, den ich gegangen bin, war sicherlich nicht der einzig mögliche, ich hätte mich auch anders entwickeln können. Hätte mich das Praktikum nicht so positiv geprägt, hätte ich mich vielleicht gegen die Ausbildung entschieden. Der Betrieb hat da eine große Rolle gespielt.
Du bist nach deiner Meister-Ausbildung in die bildende Kunst gewechselt. Wie kam es dazu?
Genau, ich habe das Patisserie-Handwerk zugunsten der Bildhauerei verlassen und bin nach Berlin gegangen. Mich hat ziemlich viel an der Branche gestört, vor allem die Art und Weise, wie nur Geld verdient werden kann – nämlich mit unzureichender Qualität, auf Kosten der Mitarbeiter:innen und durch viel zu niedrige Preise, da die Kundschaft höhere, gerechtfertigte Preise schlichtweg nicht akzeptiert. Ich bin nach meiner Ausbildung in Salzburg, Australien und Wien gewesen, wo diese altmodischen Strukturen wirklich zutage kamen. Es ging den meisten Unternehmer:innen immer nur darum, ausreichend Marge auf ihre Produkte schlagen zu können. Ich hab zum damaligen Zeitpunkt dann einfach keine weiteren Potenziale für mich in diesem Bereich gesehen. Es war aber nicht nur das, sondern ich wollte auch einfach kreativer arbeiten und nicht ausschließlich ausführen. Als ich während eines Bildhauerei-Seminars in Wien das erste Mal anderes Material zwischen den Händen hatte, wusste ich, dass es auch andere interessante Bereiche gibt, die ich unbedingt kennenlernen will.
Welchen Reiz bietet der Einsatz von Lebensmitteln in der Kunst?
Ich habe einige Jahre ganz viel in der Kunst ausprobiert, habe verschiedene Lebensmittel thematisiert und zum Beispiel mit Abtragungen und Veränderungsprozessen gearbeitet, aber auch soziale Prozesse untersucht. Wie agiert der Mensch, wenn er etwas anfassen kann und darf, denn das ist ja eine Schwellenüberschreitung in der Kunst, da es ja sonst meist nie erlaubt ist, dem Kunstwerk nahezukommen, geschweige denn, es anfassen.
Hat dir das auch den Weg zurück in das Patisserie-Handwerk geebnet?
Ich hab dann irgendwann begonnen, Skulpturen aus Pralinen anzufertigen, hab das Produkt Praline in meiner Arbeit eingesetzt und erste Formen gestaltet, bis ich dann gemerkt habe, worum es mir in meiner künstlerischen Arbeit wirklich geht. Ich finde es spannend, mit Essen zu arbeiten, aber nicht ausschließlich. So hat sich meine Arbeit sowohl auf künstlerischer als auch handwerklicher Ebene weiterentwickelt – und meine eigenen Pralinen sind entstanden, aus denen das heutige Projekt pars Pralinen resultiert. Ich bin irgendwie immer so ein Mittelding gewesen – nie nur ganz Patisserie, aber auch nie nur ganz Kunst, irgendwie hat sich beides immer auf natürliche Art miteinander verwoben, ich bin zwischen den Polen hin und her gependelt. Das hat auch damit zu tun, dass der Patisserie etwas sehr Süßes, Niedliches anhaftet, damit konnte ich mich nie identifizieren. Ich musste mich erst davon freikämpfen, um dieses Handwerk auf einer für mich guten Ebene wieder in meine Arbeit einbinden zu können.
Deine Pralinen sind ja das komplette Gegenteil industriell hergestellter Massenware. Wofür steht eine Praline für dich?
Eine Praline ist für mich der Inbegriff dessen, was in den letzten Jahrzehnten passiert ist, eigentlich seit Anbeginn der Industrialisierung – nämlich etwas, das eigentlich total kostbar und unheimlich aufwendig in der Herstellung ist, etwas, das schon immer für besondere Anlässe gemacht war, dass sich aber total ins Gegenteil manövriert hat. Es ist zu einem Produkt geworden, wovon du für 20 Stück mittlerweile nicht mal mehr 1,50 Euro ausgeben musst. Total kommerzialisiert. Ich finde nicht, dass das notwendig ist – denn es gibt einfach Produkte, bei denen es total schön ist, dass man sie nicht jeden Tag konsumiert und sie so etwas Besonderes bleiben. Dann kann man eben auch die Dinge ganz anders wertschätzen.
Das Thema der Preise hat dich ja schon während deiner Ausbildung viel beschäftigt. Wie nimmst du die Preisgestaltung heute wahr?
Wir haben hier in der Manufaktur ständig mit dem Thema der Preise zu tun. Ich würde sagen, dass sie immer noch zu günstig sind, denn der immense Aufwand und hohe Wareneinsatz rechnen sich kaum. Aber du kommst nur vom Aufwand weg, wenn du zwangsläufige Qualitätseinbußen in Kauf nimmst, das kommt für mich nicht infrage. Einige Kunden finden die Pralinen so wie sie sind zu teuer und sind nicht bereit, den veranschlagten Preis, der durch die individuelle Herstellung sowie die den Einsatz hochwertigster Zutaten anfällt, zu zahlen. Ich kann das ein Stück weit verstehen, das ist schon viel Geld. Aber die Frage muss ja auch sein: Wie oft möchtest du so etwas genießen oder verschenken? Und warum wird bei Lebensmitteln überhaupt angefangen, mit dem Preis zu handeln? Einem:r Ärzt:in würde man ja auch nicht unterstellen, dass er:sie die Leistungen auch für weniger anbieten kann. Über den Preis wird eine gewisse Wertschätzung an das Produkt selbst und das Handwerk dahinter ausgedrückt. Das muss man den Menschen aber überhaupt erstmal nahelegen, es herrscht viel zu wenig Wissen darüber.
Pars Pralinen wird manchmal mit Sawade verglichen, da beide Unternehmen als Manufaktur bezeichnet werden. Ein bisschen trügen hier die geringen Bezeichnungsmöglichkeiten: Unsere beiden Manufakturen sind überhaupt nicht vergleichbar – Sawade ist ein sehr großes Unternehmen, das seit über hundert Jahren besteht, da wird die Kuvertüre aus Temperier-Tanks gezapft, wobei wir hingegen jede unserer sieben Kuvertüren aktuell noch händisch temperieren. Pars ist ja winzig, alles wird von Hand gefertigt. Hundert Pralinen dauern bei uns viel länger als in einem durchautomatisierten Betrieb. Daher kannst du auch einfach die Preise nicht vergleichen. Ich mag diesen kleinteiligen, aufwendigen Prozess sehr, das war das Reizvolle für mich an diesem Produkt. Ich kann hier meine eigene Ästhetik und Formensprache einbringen und die Kostbarkeit in gewisser Weise darstellen.
Wie könnten Kund:innen besser verstehen lernen, wie sich Preise zusammensetzen?
Sobald jemand Einblick in die Hintergründe bekommt, versteht, wie sich Preise wirklich zusammensetzen, kann man diese auch besser nachvollziehen. Auch wenn er:sie es sich nicht leisten kann, kann der:diejenige trotzdem verstehen, warum und wie Preise entstehen, kann abwägen und muss sie nicht mehr derart hinterfragen.
Wenn wir uns das große Ganze anschauen, gibt es da Bereiche im Lebensmittelsystem, in denen du merkst, dass sich bereits nachhaltig etwas ändert? Wenn ja, an welchen Stellen genau?
In der Gastronomie auf jeden Fall, die skandinavische und teilweise auch japanische Küche gelten in der Hinsicht ja ein bisschen als Vorreiter. Aber in den Patisserien, damit meine ich jetzt diejenigen innerhalb Deutschlands, tut sich wirklich wenig bis gar nichts. Weltweit sieht das sicherlich nochmal anders aus, das kann ich nicht genau einschätzen. In Deutschland ist es einfach deshalb speziell, weil es ein absolutes Land der Sparer:innen ist. Essengehen auf Sterneniveau ist mittlerweile akzeptiert, aber das gibt es so gesehen in der Patisserie gar nicht. Da wird vielleicht noch der Unterschied zur französischen Patisserie gemacht, aber es gibt nicht die Alltags-Patisserie und die Fine Dining-Patisserie, es muss schlichtweg gesagt alles günstig sein. Ein Beispiel, ich habe eine Freundin, die jetzt eine Familienkonditorei weiterführt. Wenn sie versucht, auch nur ansatzweise bessere Zutaten zu verwenden, die sich dann natürlich auch im Preis auswirken, gehen die Kund:innen schon auf die Barrikaden. Das Kuchenstück hat ja schon immer 2,35 Euro gekostet, das kann ja jetzt nicht 20 Cent teurer sein. In ihrem Betrieb wird also kalkuliert ohne Ende; das sind ehrlich gesagt Dinge, über die ich mir tatsächlich keine Gedanken mache. Klar, es sind andere Dimensionen, andere Volumen, die da verkauft werden. Aber wenn hier etwas 10 Cent oder auch einen Euro mehr kosten muss, im Einkauf wohlgemerkt, dann ist das halt so. Das muss drin sein, damit ich meine Qualität halten kann. Das ist aber einfach nicht der Standard in deutschen Patisserien, da ist der Standard die Qualität, die dir der Großhandel bietet. In den wenigsten Fällen ist ein direkter Bezug zwischen Erzeuger:innen und Handwerker:innen vorhanden, das finde ich schon schade. Nähe zu dem zu haben, das ich verarbeite, ist mir total wichtig. Und das nutzen, was uns regional zur Verfügung steht. Ich kann nicht behaupten, Dinge neu denken und machen zu wollen und dann trotzdem Passionsfruchtpüree verarbeiten. Das ist doch absurd und weit ab davon, mit der Zeit zu gehen.
„Ich mag diesen kleinteiligen, aufwendigen Herstellungsprozess sehr, das war das Reizvolle für mich an diesem Produkt. Ich kann hier meine eigene Ästhetik und Formensprache einbringen und die Kostbarkeit in gewisser Weise darstellen.“
Es gibt auf jeden Fall an den unterschiedlichsten Stellen im Bereich der Lebensmittelerzeugung riesigen Handlungsbedarf. Wo könnte man deiner Meinung nach konkret ansetzen, um wirklich etwas zu verändern?
Im Privaten gibt es oft Leute, die sich einfach gar nicht damit auseinandersetzen, was sie konsumieren. Ich denk dann ganz oft, dass das doch mittlerweile jedem klar sein muss, aber das ist bloß meine eigene Realität. Ich bin dann manchmal zu ungeduldig, ihnen Missstände zu erklären oder aufzuzeigen, warum ein Huhn 30 Euro statt 2,99 kosten sollte. Aber eigentlich braucht es genau das, nämlich geduldige Leute, die solche Dinge ansprechen und aufklären. Und das ohne dogmatische Art, denn niemand kann immer alles richtig machen. Das muss auch so vermittelt werden. Ich denke, dass es gut funktionieren kann, wenn man die Vorteile an sein Umfeld weitergibt, denn positive Aspekte bewegen die Leute, Dinge wirklich zu ändern. Bei Essen ist es in der Regel ja so, dass das, was besser ist, auch besser schmeckt. Eigentlich einfach. Wenn du einmal guten Käse gegessen hast, kannst du keinen Discounterkäse mehr essen.
Aber auch die Politik müsste umschwenken, was man auch dadurch beeinflussen kann, dass immer mehr kleine Gruppierungen wie Die Gemeinschaft Druck auf sie ausüben. Subventionen müssten zum Beispiel anders verteilt werden, weniger profitorientiert. David (David Peacock, Betreiber des Erdhof Seewalde, Anm. d. Red.) hat es mir mal so erklärt: Subventionen werden je nach Ertrag aufgrund der Landgröße oder Anzahl der Tiere berechnet. Heißt, große Betriebe bekommen hohe Subventionen, kleine Betriebe nur kleine. Wenn so etwas schon anders verteilt werden würde, würde sich auch das Bild ändern – dann würden Lebensmittel einen anderen Preis bekommen, große Betrieben könnten nicht mehr zu Dumpingpreisen verkaufen. Das würde das Gefälle in der Landwirtschaft verkleinern.
Du hast die Gemeinschaft gerade schon angesprochen – warum bist du Mitglied geworden und welche Kernthemen sind dir wichtig?
Einer der wichtigsten Gründe für mich war und ist, dass ich alleine viel weniger Möglichkeiten habe, etwas zu erreichen, als in einer Gruppe gleichgesinnter. Mit der Gemeinschaft haben wir die Chance, langfristig gesehen, wirklich etwas in der Politik ändern zu können. Je größer wir werden, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen wir und können dadurch einen anderen Einfluss nehmen. Ich finde auch die Themen Gemeinschaftsverpflegung und Ausbildung total wichtig, zwei Bereiche denen gesamtgesellschaftlich noch viel mehr Raum zukommen muss. Wenn ich mich dran erinnere, was uns in der Berufsschule an Zutaten vorgesetzt wurde – das war echt unterirdisch. Unterste Qualität. Und damit beginnst du dann zu arbeiten, du lernst also von Anfang an überhaupt nicht, was gute Lebensmittelqualitäten sind, wie man sie erkennt und verarbeitet, sondern wiederholst einfach standardisierte Abläufe für irgendwelche Industrieprodukte. Produkte aus natürlichem Anbau verhalten sich ganz anders als konventionelle Massenware, aber diese Tatsache lehrt dich niemand, weder in der Berufsschule noch in der Meisterschule. Das fand ich echt schockierend.
Gibt es Dinge, die sich durch die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft für dich verändert haben?
Für mich ist auch der konstante Austausch ganz wichtig, das noch als Ergänzung zur vorigen Frage. Den hatte ich zwar vorher auch schon, aber jetzt habe ich mehr und direktere Möglichkeiten, Leute anzusprechen, die auf bestimmte Themen spezialisiert sind. Das finde ich total wichtig. Insbesondere der Kontakt zu Landwirt:innen ist so enger geworden und ich kann ihre Arbeit dadurch, dass ich selbst mal vor Ort war und in die Prozesse hineingeschaut habe, viel besser verstehen – was sich dann wiederum positiv auf meinen Umgang mit den Produkten und die Kommunikation an meine Kund:innen auswirkt.
Letzte Frage als Abschluss – was bedeutet gutes Essen für dich?
Gutes Essen ist für mich frisches Essen – frische, hochwertige Zutaten, möglichst so, dass ich alle Komponenten herausschmecken kann. Und es muss mich satt und glücklich machen. Dass ich glücklich bin, hängt dann unter anderem wieder von der Qualität und Herkunft der Produkte ab. Ich kann deswegen zum Beispiel auch keinen Döner mehr essen. Denn ich kann aus meinem Kopf nicht löschen, unter welchen Umständen die Zutaten produziert worden sind, das geht einfach nicht.
Fotos
Jonas Holthaus, Övgü Özen, Pujan Shakupa
Text und Bearbeitung
Carolin Foelster