Domberger Brot-Werk

Wie kann eine zeitgemäße Ausbildung für Quereinsteiger:innen in das Lebensmittelhandwerk aussehen? Ein Gespräch mit Florian Domberger, dem Gründer von Domberger Brot-Werk in Berlin, über Wissensvermittlung, Transparenz im Betrieb und darüber, ob Backen glücklich macht.

Welchen Stellenwert hat das traditionelle Bäcker:innenhandwerk in der heutigen Zeit?

In Deutschland ist es eine Katastrophe. Für uns ist das ausgezeichnet, weil wir so unsere Nische besetzen können. Aber Tatsache ist, dass das vielgelobte deutsche Backhandwerk nicht mehr existiert. Björn Wiese sagt immer, dass von den 11.000 Bäckereien in Deutschland vielleicht noch 20 so backen wie wir es tun – also nur mit Mehl, Wasser, Salz, sonst nichts. Welchen Stellenwert hat das Handwerk also? Es hat de facto keinen mehr.


Wie bist du zum Bäcker:innenhandwerk gekommen, kannst du deinen Weg kurz erläutern?

Ich bin gelernter Speditionskaufmann, habe bei der Bundeswehr gearbeitet und anschließend Verkehrsbetriebswirtschaftlehre studiert, also praktisch Transportwesen. Ich war dann einige Zeit im Ausland, in Hongkong, Indonesien und Australien – in Australien hab ich beschlossen, mich als Bäcker selbstständig zu machen, was aber nicht funktioniert hat. Daher sind wir als Familie zurück nach Europa. Nach weiteren Stationen bei großen Konzernen im Einkauf habe ich 2015 Domberger Brot-Werk gegründet. Um das Backen zu lernen bin ich ins Praktikum bei Björn Wiese gegangen, im Oktober 2016 habe ich dann meine eigene Bäckerei in Berlin-Moabit eröffnet. In den letzten Jahren sind dazu drei weitere kleine Bäckereien auf Anhängern und in Containern gekommen, die Brotbrücken.


War es immer dein Wunsch, eines Tages im Handwerk tätig zu sein?

Ich bin gut im Handwerk, aber eigentlich ist das Handwerk gar nicht das, was ich machen will. Ich habe das Bäckerhandwerk gelernt, damit ich es hundertprozentig ausführen und verstehen kann. Mein echter Beruf ist Ausbilder. Ich bilde Menschen aus, leite sie an, führe das gesamte Unternehmen. Und ich stelle sicher, dass die Qualität gleichbleibend hoch ist und sorge dafür, dass wir ein Publikum haben. Die Rolle des Ausbilders mache ich mit einer absoluten Passion. Für mich bedeutet das, dass ich dem Menschen zutraue, dass es bei ihm:ihr schon etwas gibt, was wir bei uns einsetzen können – was wiederum den Leuten hilft, ihren Beruf schneller zu erfassen und sich in ihm zu festigen.


Warum ist es ausgerechnet das Bäckerhandwerk geworden, mit dem du dich selbständig gemacht hast?

Ich hab drei Passionen – Brot, Bier und LKW. Beim Brot habe ich das geringste wirtschaftliche Risiko gesehen.


Was das Thema Aus- und Weiterbildung angeht, gehst du in deinem Betrieb ungewohnte Wege. Wie vermittelst du deinen Mitarbeiter:innen, unter denen viele Quereinsteiger:innen sind, das benötigte Wissen?

Wir bekommen jeden Tag ein bis zwei Bewerbungen von Leuten, die richtig was im Kopf haben, die könnten eigentlich auch etwas anderes machen. Aber die haben Lust, ihren alten Beruf hinter sich zu lassen und hier zu arbeiten. Das freut mich unheimlich, denn das zeigt, dass ich vieles intuitiv richtig gemacht habe. Dass die Leute zu uns wollen haben wir dadurch geschafft, dass wir sie von Tag eins an richtig mitarbeiten lassen. Vom ersten Tag an gehst du an den Teig. Vom ersten Tag an entwickelst du ein Gefühl für den Teig. Vom ersten Tag an wirst du vollkommen herausgefordert. Wir lassen unseren Bäcker:innen keine Chance, zu entkommen.

Macht backen glücklich? 

Es ist schon vom Handwerklichen her einer der geilsten Jobs, die man überhaupt haben kann. Es ist einfach so. Du hast was in der Hand, was du haptisch erfassen kannst. Und ein Tag später hast du ein Ergebnis, das du verkaufen kannst. Wie geil ist es denn, das ist großartig! Sofortiges Feedback und Kunden, die man glücklich machen kann. Man kann damit auch noch Geld verdienen und es den Kindern weitergeben. Es geht durch den Magen. Es macht glücklich. Und genau das muss man schaffen, den Leuten zu vermitteln. Und wenn ich jetzt Lehrlinge im ersten Lehrjahr aber einfach nur Bleche putzen lasse, wie sollen die den Zugang zum Bäckerhandwerk haben? Das, was wir hier praktizieren, nennt sich kompetenzorientiertes Lernen.

Habt ihr Auszubildende bei euch im klassischen Sinne, die noch die Schulbank drücken müssen?

Nee. Das sind alles Leute, die einfach arbeiten wollen, die was machen wollen und die dadurch lernen, dass sie es einfach machen. Wenn du eine Motivation hast, das Backhandwerk zu lernen, aber vielleicht schon zehn Jahre in einem anderen Beruf gearbeitet hast – soll ich sich dann nochmal auf die Berufsschule schicken? Ich würde mich schämen, denn das ist verschwendete Zeit. Das machen wir nicht, von der ersten Minute an wirst du bei uns bezahlt, und zwar anhand deiner Fähigkeiten. Wenn du dein Wissen verfestigst, wirst du weiter gestuft. 


Die Bezahlung erfolgt also für alle in der Bäckerei transparent?

Ja, jede:r weiß hier, was die anderen verdienen, da das System der Fähigkeitsstufen offengelegt ist. So hat auch jede:r eine Motivation, die nächste Stufe zu erklimmen, von Bäcker:in Eins zu Bäcker:in Zwei, Drei, Vier. Auf Stufe Vier bist du in der Lage, die komplette Backstube zu führen.


Gab es bei der Entwicklung dieses Modells Vorbilder, konntest du Dinge aus anderen Bereichen aufgreifen?

Auf die Ausbildungspläne aus dem herkömmlichen Bäcker:innenhandwerk konnten wir nicht bauen, da die grottenschlecht sind. Die haben wir also alle selber geschrieben und entwickelt. Viele Sachen aus der Führungs- und Ausbildungslehre klaue ich bei der Bundeswehr. Und was Logistik und die kaufmännischen Parts angeht, das habe ich ja alles selber gelernt, das ist also auch kein Problem. Unser Bäckermeister Ralf übernimmt jetzt auch mehr und mehr in der Rolle des Ausbilders – so kommt eine zweite Meinung dazu, das finde ich gut.

Welche Pläne hast du für eure Bäckerei?

Ich habe festgestellt, dass es eines gibt, dass ich richtig genial finde. Und das ist diese gelebte Kleinteiligkeit. Das heißt, kleine Bäckereien aufzubauen und Menschen dabei zu helfen, Verantwortung zu übernehmen, um sich zu einem späteren Zeitpunkt selbständig zu machen. Ich fühle mich sehr wohl mit dem Gedanken, die Brotbrücken immer weiter auszubauen und überall in Berlin Container aufzustellen, in denen kleine Teams arbeiten – die letztendlich alle in der Firma Domberger Brot-Werk zusammenarbeiten. Aber alles unter der Prämisse dezentral, also vor Ort aus Mehl, Wasser, Salz und Sauerteig Brot backen. Zentral produzieren und dann ausliefern können andere machen. Ich möchte Leute ausbilden und denen dann die Verantwortung geben. Das ist ein mittelfristiges Ziel. Langfristig möchte ich das Brotbacken komplett an meine Leute übergeben und zwei weitere Unternehmen gründen. Eine Logistikfirma, auf deren Leitungen die Brotbrücken dann zugreifen können, und einen Ausbildungsbetrieb. Da kommt eigentlich auch die Gemeinschaft ins Spiel.

 

 

Dass die Leute zu uns wollen haben wir dadurch geschafft, dass wir sie von Tag eins an richtig mitarbeiten lassen. Vom ersten Tag an gehst du an den Teig. Vom ersten Tag an entwickelst du ein Gefühl für den Teig. Vom ersten Tag an wirst du vollkommen herausgefordert. Wir lassen unseren Bäcker:innen keine Chance, zu entkommen.

 

 

Gute Überleitung. Ich wollte dich nämlich als nächstes fragen, warum du Mitglied der Gemeinschaft geworden bist und welchen Platz du dort einnimmst.

Ich glaube, dass ich als Kaufmann ganz gut bin und den Leuten vermitteln kann, wie man kaufmännisch erfolgreich ein Unternehmen führt. In der Gemeinschaft sehe ich drei Rollen für mich – als Ausbilder für kaufmännische Unternehmensführung, als Ausbilder für Ausbilder:innen und als Ausbilder für Logistik. Das sind Dinge, die ich vermitteln kann, auch innerhalb der Gemeinschaft. Ich will mit der Gemeinschaft an unserem eigenen Modell arbeiten, wie wir Methodiken und Inhalte vermitteln können. Wie können wir das, was wir bei Domberger Brot-Werk machen, auf andere Bereiche übertragen, auf das Käse-, Brau-, Metzger:innen-, Winzer:innenhandwerk und so weiter.


Wie kann man deiner Meinung nach denn generell die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Bereichen Lebensmittelhandwerk – Gastronomie – Landwirtschaft stärken?

Es gibt schlichtweg gesagt eine ganz einfache Methode. Und das ist zusammen Geschäfte zu machen. Gemeinsame Ziele zu entwickeln und an diesen zu arbeiten. Sagen wir, alle beliefern den gleichen Markt – dann haben alle ein Interesse daran, dass dieser Markt erfolgreich ist. Der zweite Punkt ist, gemeinsame Interessen zu finden und denen gemeinsam nachzugehen, zum Beispiel bei den Themen Ausbildung und Logistik. Ein arbeitsfähiges Modell zu entwickeln und das zu nutzen. Indem ich es benutze, fange ich an, miteinander zu kollaborieren, ganz automatisch.


Welche sind die für dich wichtigsten Punkte im Lebensmittelsystem, die sich verändern müssen?

Als Kaufmann nehme ich da eine durchaus monetäre Perspektive ein, ich würde es daher so umschreiben, dass alle anfangen müssen, ihre externalisierten Kosten zu internalisieren. Das hat viel mit dem Thema Nachhaltigkeit zu tun und ist für mich ganz zentral. Die Menschheit baut gerade so viel Mist auf diesem Planeten, u.a. auch dadurch, weil wir nicht daran denken, welche tatsächlichen Kosten wir verursachen. Ganz langsam ändert sich da jetzt was, zum Beispiel ist der Diesel 12 bis 16 Cent teurer – hurra, endlich zahlen wir für den erhöhten CO2 Ausstoß auch etwas mehr. Aber das muss für konventionell produzierte Kleidung genauso geschehen wie für konventionell hergestelltes Essen.


Wen siehst du in der Verantwortung, diese Änderungen umzusetzen? 

Jede:r sollte seinen kleinen Kommunismus leben. Das heißt, das Verhalten eines:r jeden einzelnen sollte Anleitung geben können für das gesellschaftliche Verhalten anderer. Ich halte den kategorischen Imperativ für ein unheimlich gesundes Prinzip. Und man muss sich gegenseitig beeinflussen. Für uns Bäcker:innen ist da der beste Weg, sich in den Laden zu stellen und mit den Kunden zu reden.

Fotos
Marianne Renella, Jörg Lehmann

Text und Bearbeitung
Carolin Foelster

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