Heike Breidenich

Als Mitglied der Leitung im Krankenhaus Havelhöhe stellt sich für Heike Breidenich täglich die Frage, wie eine gute Gemeinschaftsverpflegung für alle erreicht werden kann und welche Änderungen es auf dem Weg dorthin braucht.

Liebe Heike, in welchem Bereich bist du genau tätig?

Ich komme ursprünglich aus der Gastronomie, habe die Hotelfachschule besucht und Restaurantfachfrau gelernt, bin dann allerdings 1996 durch einen glücklichen Zufall im Gesundheitswesen gelandet. Dort setze ich mich von Anfang an für eine neue Esskultur in Krankenhäusern ein. Seit sechs Jahren bin ich im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe tätig, bin Mitglied der Krankenhausleitung und gestalte auch hier die Entwicklung und Umsetzung einer neuen Esskultur mit.


Was verstehst du unter Esskultur und wie genau versucht ihr, Änderungen umzusetzen?

Eine neue Esskultur im Krankenhaus heißt für mich, dass für Patienten und Mitarbeiter täglich frisch gekocht wird, mit qualitativ guten Lebensmitteln, Kräutern und Gewürzen, ohne Konservierungsstoffe und Geschmacksverstärker, möglichst in Bioqualität – zumindest soweit es das Budget erlaubt. In Havelhöhe haben wir das große Glück, dass wir eine eigene Küche haben, denn das ist in vielen Einrichtungen gar nicht mehr der Fall. Dadurch können wir selbst bestimmen, was bei uns in den Kochtopf kommt und bei wem wir einkaufen. Einer unserer ersten Schritte in Richtung neuer Esskultur war eine Reduzierung des Fleischangebots. Statt sieben Mal gibt es jetzt nur noch drei Mal die Woche Fleisch, das aus ökologischer, artgerechter Haltung kommt. Im gleichen Atemzug haben wir die vegetarischen Gerichte ausgebaut und vieles neu kreiert, haben sie spannender gemacht – denn einfach nur Fleisch zu reduzieren und die anderen Speisen zu lassen wie sie sind, das klappt nicht.


Welche Bedeutung kommt dem Essen in Krankenhäusern zu?

Das Allerwichtigste ist für mich, dass das Essen im Krankenhaus zur Gesundung der Patient:innen beiträgt und sie nicht kränker macht. Es trägt ebenfalls zur Gesunderhaltung der Mitarbeitenden bei – was nur funktioniert, wenn es kein Fast Food, sondern Essen aus guten Lebensmitteln ist. Kurzum, Essen, das gesund statt krank macht, das finde ich wirklich wichtig.


Wie nehmen eure Patient:innen diese Umstellungen an?

Ich gehe an dieser Stelle nochmal einen Schritt zurück – denn um so ein neues Speisenkonzept überhaupt umsetzen zu können, braucht es eine Krankenhausleitung, die dafür offen ist. Das war in Havelhöhe der Fall. In der Anthroposophischen Medizin spielt die Ernährung eine große Rolle, daher standen neben der Krankenhausleitung auch viele Ärzt:innen von Beginn an dahinter. Wir haben dann gemeinsam ein Konzept erarbeitet, das war 2017. Insgesamt haben wir uns ein halbes Jahr Zeit genommen und konnten dann zum 1. Juli 2017 umstellen. Kurz nach der Umstellung waren definitiv nicht alle begeistert, weder alle Patient:innen, noch alle Mitarbeiter:innen. Daher war es umso wichtiger, dass die gesamte Krankenhausleitung und die Ärzt:innen hinter dem Konzept und der Küche standen.


Wie hat sich die Unzufriedenheit geäußert?

Patient:innen gingen in die Küche, um sich dort zu beschweren oder kamen mit dem Tablett zu mir ins Büro. Haben mir das Tablett auf den Tisch geknallt und mich gefragt, was das denn sei. Dann hab ich die Tür zugemacht, ihnen etwas zu trinken angeboten und das Konzept erklärt – und betont, dass wir ein Essen anbieten wollen, das zur Gesundung beiträgt. Das konnte von den Patient:innen dann gut angenommen werden. Anfangs gab es auch vielleicht zu viele vegetarische Gerichte mit zu exotischen Namen, die nicht alle kannten, vor allem dadurch gab es oft Schwierigkeiten in der Akzeptanz der Gerichte. Da haben wir nun aber einen guten Mittelweg gefunden, durch den die Beschwerden enorm zurückgegangen sind.

 

 

Um den Wandel weiter fortzuführen, ist es wichtig, immer verschiedene Perspektiven zusammenzubringen.“

 

 

Und wie haben eure Köch:innen die Umstellung in der Küche empfunden?

Die Köch:innen arbeiten teilweise schon viele, viele Jahre bei uns – daher war die gesamte Umstellung für sie sehr bedeutend. Sie fanden es total toll, wieder richtig kochen zu können. Aber sie haben auch gemerkt, dass eine frische Küche mehr Arbeit bedeutet, da man viel mehr schnippelt und die Menüs so zusammenstellen muss, dass sie realisierbar sind. Ich versuche immer alle Gerichte zu probieren und sage ganz klar, was ich gut finde und was nicht. Die Köch:innen mussten sich auf jeden Fall daran gewöhnen, dass ich ihnen regelmäßig Feedback gebe. Daraus hat sich mittlerweile aber eine Offenheit und Lösungsorientierung entwickelt, die ich ganz fantastisch finde. Das macht richtig Spaß.


Wie sieht der Kontakt zu den Erzeuger:innen aus – habt ihr eure Lieferant:innen umgestellt oder seid ihr bei den gleichen geblieben und verarbeitet deren Produkte jetzt einfach anders?

Zu einigen Erzeuger:innen gibt es schon länger einen direkten Kontakt, zum Beispiel werden wir seit 25 Jahren von der Demeter-Bäckerei Weichardt beliefert. Die Basis für unser Frühstück und Abendessen hat also schon lange eine super Qualität. Einen Teil unseres Gemüses beziehen wir bei SpeiseGut in Kladow, einer solidarischen Landwirtschaft. Die Felder, wo das Gemüse angebaut wird, sind nur vier Kilometer vom Krankenhaus entfernt. Bei der Erweiterung unseres Erzeuger:innen-Netzwerkes hat uns Patrick Wodni sehr geholfen, der die Umstellung unseres Speisenkonzepts in Havelhöhe auch mitgestaltet und 18 Monate lang begleitet hat. Er hat die Rezepte entwickelt und es geschafft, alle Kolleg:innen in der Küche einzubinden und mitzunehmen. Die haben bei ihm gesehen, dass er gute Ideen hat, dass er selbst am Herd steht und alles selbst ausprobiert und sich für nichts zu schade ist. Sie konnten seiner Arbeitsweise dann folgen, das war toll zu sehen. Durch Patrick sind wir auch mit dem Erdhof Seewalde in Berührung gekommen, der uns jetzt alle fünf Wochen Fleisch für unseren Sonntagsbraten liefert. Von dem Tier gehen bestimmte Stücke an die Spitzengastronomie und wir nehmen die Braten- und Schmorstücke, das ist gut für alle Beteiligten. Insgesamt arbeiten wir aktuell mit zehn Erzeuger:innen direkt zusammen, das ist schon eine gute Basis, von der aus wir uns weiter entwickeln können.


Habt ihr Ziele definiert, die ihr erreichen wollt?

In unserer Führungskräfterunde im Dezember 2020 haben wir seitens der Küche verkündet, dass wir innerhalb der nächsten fünf Jahre auf hundert Prozent Bioprodukte umstellen wollen. Da kam direkt von der ärztlichen Leitung das Feedback, ob wir dann nicht gleich biodynamisch ins Auge fassen wollen. Das wäre natürlich toll, aber es ist nicht leicht, überhaupt alle Produkte in Demeterqualität zu bekommen. Dennoch ist es total reizvoll, das als Ziel im Hinterkopf zu behalten und es ist bemerkenswert, dass es in so großer Runde angesprochen wird. Das hat uns echt gefreut. Wir haben nun fünf Jahre Zeit, uns in kleinen Etappen weiter umzustellen und zu schauen, welche Produkte wir wo bekommen können und wie wir sie letztlich verarbeiten wollen. In der Reihenfolge muss es laufen, sich erst die Gerichte zu überlegen würde keinen Sinn ergeben.


Dahinter stehen ja aber auch immer wirtschaftliche Kalkulationen. Das würde sicherlich eine Budgeterhöhung mit sich bringen, oder?

Auf jeden Fall, denn wir müssen immer gucken, ob bestimmte Umstellungen auch wirtschaftlich machbar sind. Es ist immer ein Ringen um die – in Krankenhäusern knappe –Ressource Geld. Wenn wir auf hundert Prozent Bioanteil erhöhen wollen, wären das 250.000 Euro mehr pro Jahr, Demeterqualität wäre noch teurer. Das muss erstmal eingenommen werden. Und trotz dieser Budgetdiskussionen merkt man, dass hier den meisten das Thema Ernährung sehr wichtig ist, wovon die Küche dann wieder profitieren kann, um wieder ein Stückchen weiterzukommen.


Warum ist dir eine gute Gemeinschaftsverpflegung generell so ein großes Anliegen und wie kann man die Gesellschaft insgesamt stärker für das Thema sensibilisieren?

Es ist so wichtig für mich, weil man viele Leute erreichen kann. Und mir gefällt die Herausforderung, zu überlegen, wie man für ein kleines Budget gutes Essen anbieten kann. Wenn es mehr gute Gemeinschaftsverpflegung gibt, haben mehr Leute mindestens einmal am Tag Zugang zu einer guten Mahlzei – und dabei eben nicht nur wohlhabendere Gruppen, sondern wirklich alle, denn alle sollten es sich leisten können. Das finde ich wirklich sinnvoll und der Gedanke treibt mich in meiner Arbeit immer wieder aufs Neue an. Ich habe das Gefühl, dass das Thema der Gemeinschaftsverpflegung insgesamt unterrepräsentiert ist, es wird z.B. in den Medien mehr über Fine Dining und die gehobene Gastronomie gesprochen. Es setzen sich zu wenig Leute lautstark dafür ein, dass ein breiteres Umdenken stattfinden kann.

 

 

Ich glaube, dass eine Veränderung des Bewusstseins nur dadurch zustande kommt, wenn man die Dinge selbst erlebt und eine Achtsamkeit entwickelt. Man muss mehr ins Erleben kommen, die eigenen Themenfelder erweitern, um so die Zusammenhänge besser verstehen zu können.

 

 

Aber es sind ja nicht nur die Medien, die etwas bewirken können.

Jede:r einzelne kann dazu beitragen, indem er seine Erfahrungen erzählt, im Prinzip persönliches Storytelling. Das nehmen die Menschen mit, erzählen es weiter in ihren Abteilungen, in ihrem Umfeld. Es braucht aber auch mehr verantwortliche Unternehmer:innen, denen das wichtig ist und die es dann umsetzen. Eine:r macht es und steckt damit weitere an. Da fällt mir noch die Sache mit dem Tagesspiegel ein, die Weihnachten 2017 eine ganze Seite über uns veröffentlicht haben, nachdem Patrick und ich die Journalistin Susanne Kippenberger auf einem Event kennengelernt haben. Ihr Artikel löste einen richtigen Presserummel aus, sogar die New York Times war bei uns, um über unsere Küche zu berichten. Das Schönste daran war, dass uns anschließend andere Krankenhäuser und Reha-Kliniken darauf angesprochen und gebeten haben, ob wir ihnen erklären könnten, wie wir vorgegangen sind. Wir hatten dann sogar Leute bei uns, die hier einen Tag hospitiert haben und wir haben ihnen die Kosten und die Rezepte offen gelegt.

 

Ich würde gerne noch erfahren, warum du Mitglied der Gemeinschaft geworden bist. Was hat dich begeistert?

Ich bin durch Patrick auf die Gemeinschaft aufmerksam geworden und hab dann das Manifest gelesen, das fand ich super. Die Gemeinschaft besteht nicht aus Theoretiker:innen, die Ideen haben und sie dann nicht umsetzen, sondern aus Praktiker:innen – die haben erst ihre Ideen umgesetzt und haben sich dann in der Gemeinschaft gefunden. Ich sehe mich auch als Praktikerin und brauche etwas Handfestes, das ich verwirklichen kann. Das verbindet uns alle.

 

Hat sich für dich durch die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft etwas verändert?

Wir lernen viel voneinander, hören einander zu, unterstützen uns – und es gibt immer direkte Unterstützung, zum Beispiel wenn wir hier im Krankenhaus eine:n Köch:in suchen, teilt es die Markthalle Neun in ihrem Newsletter oder Billy macht einen Aufruf über Instagram. Und das zeigt auch, dass die gehobene Gastronomie ein Interesse an der Gemeinschaftsverpflegung hat, dass sie sich um unsere künftigen Generationen sorgen. Ich möchte den Themen Gemeinschaftsgastronomie und Ausbildung noch mehr Gehör geben und glaube, dass die Gemeinschaft dazu viel beitragen kann.

 

An welchen Stellen muss deiner Meinung nach beim Thema Ausbildung mehr passieren?

Olafur Eliasson hat mal gesagt, cooking is caring for others – das ist seitdem ein Leitsatz für mich. Genau da sollte man ansetzen, nämlich zu vermitteln, dass Kochen etwas Sinnvolles, Schönes und auch Soziales ist. Und eigentlich müssten alle, die Köch:innen werden wollen, ein Praktikum auf dem Feld machen und dort mal Erde in die Hand nehmen und schauen: Wie sieht konventionelle Erde aus, wie biologisch-dynamische? Ich glaube, dass eine Veränderung des Bewusstseins nur dadurch zustande kommt, wenn man die Dinge selbst erlebt und eine Achtsamkeit entwickelt. Man muss mehr ins Erleben kommen, die eigenen Themenfelder erweitern, um so die Zusammenhänge besser verstehen zu können. Toll fänd ich auch, wenn wir als Gemeinschaft den Auszubildenden die Möglichkeit geben würden, in verschiedene Unternehmen reinzuschauen, dass sie z.B. ein paar Tage im Nobelhart & Schmutzig mitarbeiten, dann bei uns in der Küche, oder auch bei Florian Domberger in der Bäckerei. Es geht darum, solche Prozesse neu zu denken.

 

Wen siehst du in der Verantwortung, den Wandel weiter voranzubringen?

Jede:r kann Entscheidungen darüber treffen, was er:sie einkauft und kocht. Aber da ist die Frage, wie man dafür sensibilisieren kann, das muss wirklich schon in den Kindergärten und Schulen anfangen. Es braucht dort schon Initiativen – natürlich muss man auch an den Rahmenbedingungen ansetzen, aber ich glaube, dass die stärksten Veränderungen durch die Summe der kleinen Organisationen und Projekte kommen, durch Menschen, die von der Sache wirklich überzeugt sind. Es geht dabei nicht nur um den Bereich Farm & Food, sondern auch um neue Ansätze im Gesundheitswesen, im Bildungssystem oder in der Politik. Um den Wandel weiter fortzuführen, ist es wichtig, immer verschiedene Perspektiven zusammenzubringen – dadurch wird das eigene Bild runder und blinde Flecken verkleinern sich.

Text und Bearbeitung
Carolin Foelster