Patrick Wodni

Als stellvertretender Projektleiter der Kantine Zukunft arbeitet Patrick Wodni mit Berliner Kantinen zusammen, um ihr Speiseangebot nachhaltig umzustellen. Ein Gespräch über die Bedeutung von guter Gemeinschaftsverpflegung, Freiheit in der Küche und die Wertschätzung von Lebensmitteln.

Patrick, welche Veränderungen strebt ihr in den Kantinenküchen an?

Im Kern sind das einfach ein viel höherer Bioanteil und natürlich auch eine andere geschmackliche Wertigkeit des Essens, vor allem aber mehr Handwerk.


Wie geht ihr bei den Projekten dann konkret vor?

Wir machen anfangs eine Art Bestandsaufnahme, die sich auf die Prozesse, Abläufe, Kennzahlen, also all das bezieht, was wir brauchen, um den Betrieb zu verstehen. Und dann arbeiten wir auch erstmal ein paar Schichten mit, um zu gucken, wo wir da eigentlich sind und mit wem wir es zu tun haben. Das ist wichtig, um ein bisschen mitreden zu können, wie der operative Alltag aussieht, obwohl man natürlich nicht alle Abläufe innerhalb weniger Tagen zu hundert Prozent erfahren und wiedergeben kann. Aber du kriegst schon ganz guten Überblick und erfährst eine ganze Menge über die Küche. Wir machen dann gemeinsam mit den Küchen einen Workshop, in dem es darum geht, eine Strategie zu finden und realistische Ziele zu stecken. Danach starten wir in die Zusammenarbeit.


Bevor du in der Gemeinschaftsverpflegung tätig warst, hast du einige Jahre in der Sternegastronomie gearbeitet. Was hat dich dazu bewogen, Koch zu werden?

Ich war nie besonders gut in der Schule, da war eine handwerkliche Ausbildung, in der man Disziplin mit auf den Weg bekommt, auf jeden Fall das Richtige für mich. Gekocht habe ich immer so ein bisschen aus der Notwendigkeit heraus, irgendwann hab ich aber gemerkt, dass mir das echt Spaß macht. Meine Mutter war alleinerziehend und hat gearbeitet, ich hab also immer gekocht, wenn ich aus der Schule kam, sodass wir zusammen essen konnten, sobald sie nach Hause kam.


Und wann hast du festgestellt, dass innerhalb der Gastronomie gewisse Dinge gehörig falsch laufen?

Das war schubweise. Die ersten erkenntnisreichen Momente hatte ich nach meiner Ausbildung, da ich viel von dem hinterfragt habe, was ich da wöchentlich erlebt habe. Sowohl der Umgang untereinander als auch die Unmengen als Lebensmitteln, die täglich entsorgt wurden – das war manchmal nahezu ein ganzes Frühstücksbuffet, das täglich in die Tonne flog. Der rücksichtslose Umgang fängt ja schon damit an, dass irgendwer, der für irgendeine Firma arbeitet, einen LKW voller Lebensmittel bringt, zu denen weder er:sie noch ich einen Bezug haben. Ich musste es dann aber verarbeiten, das fand ich irgendwie schräg. Es waren viele unterschiedliche Dinge, die mir den Beruf ein bisschen madig gemacht haben, denn letztlich ging es da für mich immer um das Falsche, nämlich primär um Gewinn. Den sollen die Betriebe ja auch machen können, aber er kann doch auch durch konstruktive Fragen begleitet werden. Ich wurde in der Vergangenheit oft missverstanden, wenn ich gesagt habe, dass ich die Dekadenz der Gastronomie echt satt habe. Das bezieht sich nicht auf Delikatessen und hochpreisige Sternemenüs, sondern darauf, dass es wirklich tragisch ist, wenn billig eingekauft und davon die Hälfte weggeschmissen wird. Das ist für mich Dekadenz.

Dabei lässt sich ja beinahe alles irgendwie weiter verwerten, seien es Chips aus Kartoffelschalen.

Jein. Der wichtigste wirtschaftliche Faktor in der Küche ist immer die Zeit, jede:r Mitarbeiter:in kostet für die Zeit, die er:sie da ist, schlichtweg viel Geld. Wenn ich Kartoffelchips brauche, dann kaufe ich die, anstatt das ein:e Mitarbeiter:in sie herstellt. Ökonomisch gesehen ist es günstiger, Reste wegzuschmeißen und Dinge neu zu kaufen. Was aber nicht heißt, dass nicht jede:r sein:ihr Bestes zur Vermeidung von Resten tun sollte.


Stichwort Zeit – meine Erfahrung ist, dass es in den meisten Kantinen rein darum geht, dass die Leute für wenig Geld schnell satt werden sollen, anstatt ihnen wirklich nahrhaftes Essen oder geschmacklich interessante Kombinationen anzubieten.

Es geht wirklich ganz, ganz wenig darum, wirklich gutes Essen zu haben. Das ist doch paradox, denn für viele ist beispielsweise das Mittagessen in der Kantine die wichtigste Mahlzeit des Tages, aus der sie viel Energie ziehen müssen, um durch den Tag zu kommen.


Welche gesamtgesellschaftlichen Ansätze braucht es deiner Meinung nach, um diese Muster zu durchbrechen?

Da würde ich direkt die Gegenfrage stellen: Was ist denn das Erste, das dir durch den Kopf geht, wenn du die Worte Kantine oder Kantinenkoch hörst?


Massenabfertigung. Und warmgehaltene Speisen.

Und das geht sicher vielen so. Dieser Berufsstand erfährt wenig bis gar keine Wertschätzung, da die vorherrschende Meinung ihn zumeist nur auf seine bloße Funktion reduziert. Es ist nicht sonderlich viel Raum für Kreativität oder eigene Ideen vorhanden, oft sind es sehr strikte, eingefahrene Strukturen. Außerdem müssen sich die Küchen an eine Vielzahl von Vorschriften halten und so standardisiert wie möglich sein, damit das Controlling der Firma alle Vorgänge erfassen kann. Das klingt alles nicht gerade nach einem sympathischen Arbeitsplatz, vor allem nicht für diejenigen, die kreativ arbeiten wollen. Wenn ich als Koch also nur eine Funktion ausüben soll und für alles Kreative, Spannende kein Platz ist, dann ist das für die allermeisten Köch:innen einfach nicht der richtige Ort.


Also wäre der erste Schritt, den dort tätigen Köch:innen mehr Raum für eigene Ideen zu geben?

Auf jeden Fall. Die Betriebe sollten stark darüber nachdenken, wie sie den Köch:innen mehr Freiraum geben können, damit ihre Arbeit ihnen Spaß macht und sie das, was sie tun, mit gutem Gewissen kochen nennen können. Ich kenne tatsächlich kein Handwerk, das über die Jahrzehnte so stark von sich selbst entfremdet wurde. Es sind so viele Arbeiten ausgelagert und externalisiert worden – anstatt Gemüse zu schälen, muss man sich in der Speiseplangestaltung häufig aus Zeitgründen auf das beschränken, was schon vorverarbeitet angeboten wird.

„Die Mensen und Kantinen Berlins sind im Prinzip die größten Restaurants der Stadt, darin steckt eine enorme Kaufkraft. Also müssen sie beim Thema Regionalität und der Frage, woher wir unsere Produkte beziehen, unbedingt eine Rolle spielen – das kann dann echt einen Wandel für die Region bedeuten.“

Das Umsetzen eigener Ideen kostet mehr Geld, da haben wir ja eben drüber gesprochen. Wie versucht ihr das konkret durchzusetzen?

Innerhalb unserer Analyse bereiten wir alle Kosten auf, letztens haben wir das für ein gesamtes Jahr gemacht, das war unheimlich aufwendig. Anhand dieser Auswertung lässt sich dann ganz klar ablesen, wie viel Geld wofür ausgegeben wurde – an diesem Punkt gehen wir dann auf die Küchen zu. Die erste Reaktion ist dann meist: Das kann ja gar nicht sein. Da kommt eine verschobene Wahrnehmung mit Entrüstung zusammen, woraus aber oft eine Art Aufbruchstimmung entsteht. Bevor wir dann tatsächlich alle möglichen Veränderungen in den Küchen umsetzen können, rechnen wir sie gemeinsam durch. Produkte in besserer Qualität und Bio-Lebensmittel scheinen immer erstmal teurer zu sein – wenn ich aber das Speiseangebot in sich ändere, beispielsweise durch einen niedrigeren Einsatz von Fleisch, komme ich in vielen Fällen ohne Mehrkosten in der Kalkulation aus. Oft ist das Problem, dass die Umstellung auf biologische Erzeugnisse eins zu eins geschieht, also über die gleiche Bezugsquelle, bei der auch die vorigen Waren gekauft wurden. Wenn ich Bioware beim konventionellen Großhandel bestelle, der überhaupt nicht auf Bio spezialisiert ist, zahle ich häufig drauf.


Nachdem ich nun ganz viel über dich und deine Arbeit erfahren habe, würde ich gern über Die Gemeinschaft sprechen. Warum bist du Mitglied geworden?

Irgendwann hat mich Micha mitten in der Nacht angerufen und gefragt, ob ich Mitglied werden möchte. Ich hatte den Verein zu der Zeit schon interessiert verfolgt und war mit Micha und Billy oft im Austausch zu den Themen, die auch in der Gemeinschaft stattfinden. Die Mensen und Kantinen Berlins sind ja im Prinzip die größten Restaurants der Stadt, darin steckt eine enorme Kaufkraft. Also müssen sie beim Thema Regionalität und der Frage, woher wir unsere Produkte beziehen, unbedingt eine Rolle spielen – das kann dann echt einen Wandel für die Region bedeuten. Es muss den Großküchen zum einen in ihren internen Strukturen ermöglicht werden, regionale Bioprodukte zu beziehen, zum anderen müssen aber auch Liefer- und Logistikmöglichkeiten geschaffen werden. Diese Möglichkeiten innerhalb der Gemeinschaft zu diskutieren und nach Lösungen zu suchen, war für mich der spannende Punkt an der Sache.


Zum Thema Wandel, welche Punkte müssen sich deiner Meinung nach generell dringend innerhalb der Gemeinschaftsgastronomie ändern?

Zu viele geben sich in der Gemeinschaftsverpflegung mit einem Mittelmaß zufrieden, das finde ich schade. Man darf auch in Kantinen gewisse Dinge einfordern. Die gängigen Sachen, wie günstige Preise, ein schnelles Sattwerden für Viele – wo ist da die Lebensmittelqualität oder eine ordentliche Zubereitung der Speisen? Die tauchen da überhaupt nicht auf. Technisch gesehen ist es ein Fortschritt, Essen vorzukochen und dann für drei Wochen haltbar zu machen, so wie es einige große Catering-Unternehmen machen. Aber auf allen anderen Ebenen ist das ganz klar ein Schritt zurück. Ich finde es ist keine gute Lösung, die Küchen immer weiter aus den Einrichtungen herauszunehmen und auszulagern, denn man verliert dadurch unheimlich viel. Wie kann man denn z.B. Schüler:innen so an das Essen heranführen, dass sie dem nicht mit Ablehnung begegnen? Nur indem du im Haus kochst, indem es nach Essen riecht. Wenn die sensorischen Erfahrungen fehlen, bleibt dabei ganz viel auf der Strecke. Was sich also wirklich ändern muss, ist die Wertschätzung hinsichtlich Lebensmittelqualität und der Wahrnehmung von Essen im Alltag. Essen sollte nichts Mittelmäßiges zur bloßen Sättigung sein. Dafür verbringt man im Leben zu viel Zeit mit Essen. Es lohnt sich total, sich zumindest in den Grundzügen damit auseinanderzusetzen.

Fotos
Insa Hagemann

Text und Bearbeitung
Carolin Foelster

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