Plattform 2020 für gute Lebensmittel
Die Plattform 2020 für gute Lebensmitteln mit Sitz in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg vertreibt und vermarktet ökoregionale Lebensmittel kleiner Erzeuger:innen, mit ihrem Farm-to-Table-Konzept beliefern sie nicht nur die Sternegastronomie und Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung, sondern sind auch für alle Endverbraucher:innen erlebbar. Wir sprechen mit Pia Linde und Jiro Nitsch darüber, welche Vorteile es in der Zusammenarbeit mit kleinen Betrieben gibt, welche Auswirkungen daraus für die Restaurants resultieren und welche übergeordneten Ziele sie mit der Plattform 2020 verfolgen.
Mit welcher Intention wurde die Plattform 2020 gegründet?
Für uns war klar, dass die regionale Landwirtschaft gefördert werden muss. Wie können wir ein Bedürfnis nach regionalen Lebensmitteln schaffen, das die Versorgung erhält und gleichzeitig Landwirt:innen Anreize gibt, wieder aufs Land zu ziehen bzw. dort zu bleiben und die Höfe in der Region zu erhalten? Wie können wir ihnen veranschaulichen, dass die ökoregionale Landwirtschaft lukrativ und zukunftsfähig ist? Wie können wir große Strukturen aufbrechen und die Vielfältigkeit und die Ursprünglichkeit wieder sichtbar machen? Diese Fragen haben uns in den vergangenen Jahren angetrieben.
Habt ihr einen Schwerpunkt, auf den ihr euch konzentriert?
Wir konzentrieren uns auf die kleinen Erzeuger:innen in der Region – also genau die, die beim Biogroßhandel durch das Raster rutschen, obwohl sie hervorragende Qualitäten und teils seltene Produkte anbieten. Sei es aufgrund von zu wenig Ertrag durch eine zu kleine Anbaufläche oder zu geringer wirtschaftlicher Effizienz. Auch bei regionalen Lebensmitteln aus ökologischer Landwirtschaft müssen wir als Vermittlungsplattform auf den Preis schauen – das versuchen wir so fair wie möglich für alle Seiten zu gestalten. Für die Erzeuger:innen, für die Kund:innen und für uns. Wir versuchen, die Erzeuger:innen zu beraten, zu betreuen und mit ihnen gemeinsam den besten Preis für das Produkt auszumachen, wenn er absolut gerechtfertigt ist, durchzusetzen und das entsprechend an den Kunden zu kommunizieren.
Welchen Vorteil hat die Zusammenarbeit mit kleinen Betrieben für euch?
Das spannende an der Arbeit mit kleinen Erzeuger*innen ist, dass wir keinen Standards und Produkte nach Norm, wie große Systeme vertreiben, sondern uns ausschließlich auf handwerklich sehr gut gemachte und qualitativ hochwertige Erzeugnisse konzentrieren. Kleinere Erzeuger*innen sind engagiert und konzentrieren sich auf Besonderheiten, wie spezielle Qualitäten, Nose to Tail, Leaf to root und Raritäten, durch die sie sich abgrenzen können – und genau das ist unserer Meinung nach das Interessante, das wir hervorheben wollen. Facettenreichtum, Vielfalt und damit einhergehend geschmacklicher und kulinarischer Reichtum der Region.
Wie findet ihr neue Partner*innen, deren Produkte ihr vertreibt?
Diese Frage lässt sich so nicht beantworten, weil wir nicht suchen. Die Zusammenarbeit mit Erzeugerbetrieben oder Lebensmittelhandwerker*innen ergibt sich. Oft kennt man sich über Ecken oder man weiß voneinander. Eine Zusammenarbeit gestalten wir aber erst, wenn gewisse Kriterien zutreffen, es gibt weiche und harte Kriterien – je nachdem, um welche Produktgruppe es sich handelt. Entscheidend ist für uns das Kriterium, dass nach ökologischen Richtlinien angebaut wird bzw. dass die Rohstoffe aus ökologischer Landwirtschaft stammen. Wir bevorzugen diejenigen, die es wirklich ernst meinen. In den letzten Jahren merken wir mehr und mehr, dass die ökologische Landwirtschaft mit dem Bio-Stempel abgefertigt wird und damit oft lapidar umgegangen wurde, wie z.B. „Bio ist uns nicht wichtig, Hauptsache regional“. Das wollen wir hiermit klarstellen, es geht nicht darum, dass wir das Bio-Siegel fordern, sondern wir fordern eine lupenreine ökologische Landwirtschaft aus Überzeugung!
Stellt ihr Veränderungen fest, die sich im Laufe der Zeit innerhalb eurer Organisation ergeben?
Du musst natürlich mit der Zeit gehen – anfangs haben wir ganz stark vom Erzeuger aus gearbeitet, getreu dem Motto, wenn der Erzeuger etwas anbaute, haben wir es angeboten. Und wenn der Erzeuger einen gewissen Preis brauchte, dann war das so – das handhaben wir auch heute noch so. Mittlerweile entwickeln sich die angebotenen Erzeugnisse aber mehr und mehr im Dialog mit uns und wir machen mit vielen Partner:innen aus der Gastronomie eine gemeinsame Anbauplanung. Denn wir sehen uns als Netzwerk und Verbindung von Landwirten und Gastronomen. Darüber hinaus schaffen wir neue Logistikmöglichkeiten. Wenn kleinen Erzeuger:innen die nötige Logistik fehlt, versuchen wir es zu bündeln oder gemeinsame Sammelorte zu finden, um den Transportweg effizient für alle zu gestalten und an diesen Sammelstation in der Region selbst und direkt abzuholen.
Was bedeutet die starke Ausrichtung nach den Erzeuger*innen im Umkehrschluss für die Köch:innen?
Die Köch:innen müssen sich ganz klar nach den Erzeuger:innen richten – denn die Landwirtschaft kann sich nur schwer und langsam an der schnelllebigen Gastronomie orientieren. Die konventionelle Bestellweise, also nachts beim Großhandel ordern und am nächsten Morgen wird es geliefert, das funktioniert bei uns nicht. Wir haben keine riesigen Lager, in denen alle Produkte auf Vorrat liegen und ständig verfügbar sind. Wir sind vielmehr ein Farm-to-Table-Konzept. Die Ware kommt frisch rein und geht am nächsten Tag frisch raus, maximal liegt sie noch einen zweiten Tag bei uns. Wir schauen, dass wir eine konstante Abnahme schaffen. Dabei ist man natürlich dauerhaft im Gespräch, sowohl mit den Erzeuger:innen als auch den Köch:innen. Mit Privatkund:innen ist das eine andere Sache, die bestellen nach ihren gewohnten Bedürfnissen, so wie sie die Dinge benötigen, oder auch ganz spontan. Es sind also zwei unterschiedliche Bedürfnisse, auf die wir und die Erzeuger:innen eingehen müssen.
Für die Restaurants erst einmal eine große Umstellung, nicht mehr jederzeit alles zur Verfügung zu haben. Welche Resonanz erhaltet ihr dazu?
Ganz unterschiedlich. Da gibt es diejenigen, die es verstehen, wenn ein*e Erzeuger*in mal nicht lieferfähig ist und spontan reagieren können und dann gibt es die, die auch mal genervt sind und bemängeln, dass Lieferengpässe erst dann sichtbar werden, wenn die Ware bei uns ankommt und bereits auf dem Weg zum Kunden ist. Manchmal bekommen wir die Info erst am Morgen der Auslieferung und müssen dann zum Hörer greifen und den Kund*innen mitteilen, dass sie in den nächsten Stunden, nicht das bekommen, was sie bestellt haben. Insbesondere spezielle Produkte, lassen sich dann nicht ersetzen und die Köch*innen müssen etwas Neues einfallen lassen – was sie dann auch machen. Es gibt aber auch Kund*innen, die das in der Form gar nicht abbilden können, da sie die Möglichkeiten und Strukturen nicht aufweisen. Und solche, die sich daran gewöhnt haben und sich auf uns verlassen, dass wir ihnen Alternativen organisieren. Hier müssen viele Absprachen getroffen werden. Das hat auch einiges mit Customer Education zu tun und einem Bewusstsein dafür, wie unsere Lebensmittel angebaut werden und woher sie kommen.
„Wir fordern eine lupenreine ökologische Landwirtschaft aus Überzeugung.“
Ich würde gerne etwas über die Gemeinschaft sprechen. Was hat euch dazu bewegt, Mitglied zu werden?
Durch unsere enge Bindung zum Nobelhart & Schmutzig und zum Horváth waren wir der Gemeinschaft von Anfang an sehr nah. Außerdem hat Jiro (Gründungsmitglied der Plattform 2020, Anm. d. Red.) das allererste Symposium mitgeplant und organisiert – so lag es auf der Hand, dass die Plattform 2020 auch Mitglied der Gemeinschaft sein wird. Denn die Ziele, die die Gemeinschaft verfolgt, verfolgen wir ja im Prinzip auch – es geht uns um die Sensibilisierung der Gesellschaft, um Netzwerkbildung unter Köch:innen und Erzeuger:innen, um den Austausch. Wir verfolgen in der Hinsicht die also gleichen Ziele und unterstützen das. Je mehr Leute sich stark machen, desto besser.
Was würdet ihr gerne gemeinsam mit der Gemeinschaft erreichen, gibt es bestimmte Ziele?
Wir verfolgen die gleichen Ziele, deshalb sind wir auch von Anfang an Teil der Gemeinschaft. Ein übergeordnetes Ziel ist die Aufklärung über das unfaire Verhältnis zwischen der Stadt und dem Land. So lange die jungen Menschen in der Stadt mehr Geld verdienen als auf dem Land, werden wir keine Revolution in der Landwirtschaft erreichen können. Ziel muss es sein, dass sich die sogenannte „Szene“ auf das Land verlagert. Es gibt erste Erfolge, aber es ist für eine systemrelevante Bewegung noch lange nicht ausreichend.
Wenn wir auf das große Bild schauen – welcher Veränderungen bedarf es eurer Meinung nach insgesamt im Lebensmittelsystem und an welchen Stellen genau?
Das lässt sich in kurzen Worten nicht so einfach erläutern. Das globale Lebensmittelsystem hat Dimensionen erreicht, die unvorstellbar sind, ein Universum an Missständen, Ausbeutung und Verbrauchertäuschung. Der Weg hin zu lokalen Lebensmittelsystemen ist unabdingbar, die globalen Warenströme sind überflüssig – eine regional-saisonal betonte Ernährung ist möglich, bedeutet aber auch Verzicht. Unserer Meinung nach ist genau das die Lösung – dem Menschen die Entscheidung zu überlassen, was er:sie wann essen kann, ist politisch nicht korrekt. Es muss natürliche Grenzen geben.
Wer ist für diese Veränderungen verantwortlich und warum?
Verantwortlich sind alle Menschen in der Wertschöpfungskette einschließlich der Politik.
Text und Bearbeitung
Carolin Foelster