Horváth

Jeannine Kessler, Geschäftsführerin des Restaurant Horváth in Berlin-Kreuzberg, im Gespräch über das gegenseitige Inspirieren, Ziele, die sie mit der Gemeinschaft erreichen will und die Wichtigkeit von umfassender Ernährungsbildung.

Was ist das Besondere des Horváths?

Das Horváth hat eine unheimliche Authentizität. Die Räume hier versprühen eine Identität, die einfach auf der Historie des Lokals beruht, wir blicken hier ja auf knapp 100 Jahre Restaurantgeschehen zurück. Den Leuten, die in den Siebzigern hier unterwegs waren, ist das „Exil“ noch ein Begriff – zur damaligen Zeit war es das Stammlokal von David Bowie, Boys und vieler weiterer Promis und stadtbekannt. Die beiden Vorbesitzer des Horváth waren Österreicher, ebenso wie mein Geschäftspartner und Lebensgefährte Sebastian Frank, ich hingegen bin Berlinerin – das vereinen wir hier nun und das macht es so stimmig. Die Dinge, die hier schon gegeben waren, nehmen wir auf und setzen sie neu um, denn wir sehen die Geschichte, die hier in den Wänden steckt, ein bisschen wie unsere Vorgeschichte.


Ihr habt Die Gemeinschaft gemeinsam mit dem Nobelhart & Schmutzig gegründet. Was war eure Motivation, den Verein ins Leben zu rufen?

Wir wollten mit der Gemeinschaft ein Netzwerk schaffen, das uns immer wieder inspiriert und gleichzeitig herausfordert, uns ständig zu hinterfragen und gewisse Prozesse cleverer zu denken. Herausfordern in dem Sinne, dass wir nicht müde werden, nachhaltiger, besser, innovativer zu werden. Dafür ist es unabdingbar, über seinen eigenen Tellerrand hinauszublicken und nicht nur sich selbst, sondern immer das große Ganze im Kontext zu betrachten.


Gibt es Dinge, die sich durch die Zusammenarbeit innerhalb der Gemeinschaft für euch verändert haben?

Auf jeden Fall. Wir sind mit anderen Gastronom:innen und Erzeuger:innen in einem Austausch, der so transparent und aufrichtig ist wie noch nie und fangen dadurch auch an, landwirtschaftliche Prozesse besser nachvollziehen zu können und in unseren Arbeitsalltag einfließen zu lassen, was für alle Seiten Vorteile bringt. Daher ist der Zusammenschluss letztlich für alle von Vorteil. Unser Netzwerk innerhalb der Gemeinschaft ist so divers aufgestellt, dass man in ganz viele Richtungen Expertisen abfragen oder geben kann, man hat einfach ganz andere Möglichkeiten in einem gemeinschaftlichen Netzwerk und findet mehr Gehör. Dadurch können wir Dinge, bei denen man sich als Einzelne:r vielleicht überfordert fühlt, ganz anders anpacken und verändern. Und der schöne Nebeneffekt daran ist, dass viele Kolleg:innen so zu Freunden geworden sind.

Welche Ziele wollt ihr mit der Gemeinschaft erreichen? 

Ich glaube, dass der Weg in die Gemeinnützigkeit für uns ein großer Schritt vorwärts ist. Wir haben eine Grundlage geschaffen, die uns durch die nächsten Jahre tragen wird und es gibt jetzt einfach durch Friederike und ihr Team mehr und bessere Möglichkeiten, die Gemeinschaft weiterzudenken. Für mich steckt auch noch viel Potenzial im Netz um die Gemeinschaft herum, da es viele Leute gibt, die mit uns sympathisieren. Wenn wir diejenigen abholen, können wir ein noch stärkeres Bündnis schaffen, das z.B. auch in der Ernährungsbildung viel bewirken kann – dafür planen wir gerade die Gemeinschaftsakademie. Mir ist insbesondere das Thema Ernährungsbildung bei Kindern total wichtig, was auch stark an die Gemeinschaftsverpflegung in Schulen und Kitas geknüpft ist. Hier gibt es ganz klar einen Bildungsaspekt zu berücksichtigen: Welches Wissen braucht ein Kind eigentlich, um als Erwachsene:r gute Lebensmittel zu sich nehmen zu können? Und wie kommen wir dahin, dass die Kinder diese Sachen jetzt auch lernen? Wie prägen wir sie für gutes, saisonales Essen anstatt für Supermarkt-Erdbeeren im Dezember? Wenn wir wachsen, sollten wir unbedingt über unsere Kernthemen hinausschauen und gesamtgesellschaftlich relevante Themen vertreten, die einen gemeinnützigen Aspekt erfüllen. Denn wir haben den Anspruch, über unser Netzwerk hinaus etwas in der Gesellschaft zu verändern.


Welche Themen sind dir besonders wichtig, die sich im Lebensmittelsystem insgesamt verändern sollten? 

All das, was jetzt mit der Akademie anstoßen, sind Investitionen in die Zukunft – und da finde ich total wichtig, dass wir uns jetzt fokussieren, unsere Energie bündeln und daraus später profitieren können. Die Leute, die wir in der Akademie aus- und weiterbilden, werden das erlernte Wissen in ihre Bereiche mit hineinnehmen und wieder neue Geschmäcker prägen, das baut ja aufeinander auf. Diese Leute werden dann eines Tages wiederum anderen zeigen, was gute Nahrungsmittel sind und wie man sie verarbeiten kann. Wir wollen mitdefinieren, wie Ausbildungen zum:zur Köch:in, Restaurant- oder Hotelfachkraft heutzutage aussehen und stellen uns vor allem die Frage, wie man das modernisieren kann. Und was schon lange auf unserer Agenda steht ist die Stärkung des Logistiknetzwerks im gesamten Umland, vor allem die Möglichkeiten für kleine Produzent:innen deutlich zu verbessern. Da leistet die Markthalle schon einen Bärendienst, aber auch hier könnten wir gemeinsam noch mehr schaffen.

„Wir haben den Anspruch, über unser Netzwerk hinaus etwas in der Gesellschaft zu verändern“

Welchen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit anderen Betrieben für euch, sowohl gastronomischen als auch landwirtschaftlichen? 

Besonders die aktuelle Zeit des Lockdowns hat mir gezeigt, wie wichtig der enge Kontakt zu anderen Restaurants ist. Wir haben uns gegenseitig Tipps gegeben, Dinge auf Augenhöhe besprochen und versucht, gemeinsame Aktionen zu starten – wir sind einfach eine Branche, die bei vielen immer eher unter dem Radar läuft und die jetzt – ganz ohne Lobby – ziemlich schlecht dasteht. Und viel mehr Wertschätzung verdient hat. Aufzuzeigen, welchen Job wir machen und wie wertvoll unsere Arbeit für die Stadt eigentlich ist, ist gemeinschaftlich besser umsetzbar. Mir hat es total geholfen, mich mit anderen Kolleg:innen austauschen zu können. Diesen Austausch auch auf landwirtschaftlicher Ebene weiter auszubauen, ist jetzt eines der nächsten großen Ziele, da fehlt Sebastian als Küchenchef leider immer ein wenig Zeit. Da haben wir echt noch Entwicklungspotenzial, das wir hoffentlich nach unserem Umbau entfalten können. Bisher bestellen wir immer eher gebündelt über die Markthalle, wollen langfristig aber einen Schritt weiter gehen und näher an die Erzeuger:innen herankommen. In diesem Jahr haben wir angefangen, Produzent:innen zu besuchen, das war total gut. Um das noch weiter aufzubauen, wollen wir auch unser Team noch verstärken.


Wie kann die Zusammenarbeit zwischen Gastronomie und Landwirtschaft insgesamt gestärkt werden? 

Ich glaube, dass wir Symbiosen schaffen müssen, die allen nützen. Anknüpfungspunkte finden, bei denen ein Zusammenschluss für alle Seiten sinnvoll ist. Das ist dann oft auch viel nachhaltiger, da man weniger Geld oder Energie verschwendet. Und Bildung spielt immer eine Rolle. Du musst den Leuten einfach zeigen, welchen Mehrwert es für sie hat, mehr Energie für bestimmte Dinge aufzubringen. Wenn man aufzeigen kann, welchen Mehrwert so der Betrieb, die Umwelt als auch jede:r selber erfährt, wird es sich auch langfristig etablieren. Da waren ein tolles Beispiel die Hofbesuche und Warenrunden. Die bringen die Menschen in Kontakt, und das ist total wichtig.

Fotos
Horváth, René Riis

Text und Bearbeitung
Carolin Foelster

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