Comfort Food #18: Elisabeth Raether – Wie verändert Corona unser Konsumverhalten?

Mai 20, 2020

 

“Im Moment wird es offensichtlich, dass unser Sozialsystem davon abhängig ist, dass wir konsumieren. Die Frage, ob ein neues System möglich wäre, ist offen.”
Elisabeth Raether – Die Zeit, 19.05.20

 

Elisabeth Raether ist Autorin der Rezeptkolumne „Wochenmarkt“ im ZEITmagazin und Co-Ressortleiterin Politik der Zeit. Elisabeth Raether entwickelte den „Wochenmarkt“ vor zehn Jahren als Reaktion auf die professionalisierte Berichterstattung über Restaurants. Durch die Corona-Krise sind die einfachen Rezepte aus dem „Wochenmarkt“ nun relevanter denn je. Auch das Konsumverhalten rückt in diesem Zusammenhang auf den PrüfstandWir haben in unserem Comfort Food Talk Nr. 18 den Blick über den Tellerrand erweitert und mit Elisabeth über strukturelle Zusammenhänge gesprochen.

 

 

Wieviel Verzicht verträgt unser Sozialstaat? Die Corona-Krise verschärft Ungleichheiten wie durch ein Brennglas. Jetzt lohnt sich der Blick ins Lehrbuch Makrosoziologie: Hier in Deutschland ist unser Modell des Wohlfahrtstaats an unserer Erwerbstätigkeit orientiert. Das bedeutet, dass sozialpolitische Absicherungsleistungen überwiegend daran gekoppelt sind, wie lang und wie viel wir arbeiten. Meistens also daran, wie viel am anderen Ende konsumiert wird. Doch gerade jetzt stellt die Krise unsere Konsumgewohnheiten in Frage: “Man sehnt sich nach frischer Luft, Licht, Gesundheit und Platz”, und fragt sich, “was ist eigentlich wichtig in meinem Leben?“, erzählt Elisabeth. Welche Spannungspunkte entstehen dadurch? Und wie definieren wir jetzt Luxus? Ist es Überfluss, Effizienz, oder Absicherung und Fürsorge?⠀

Wir haben jetzt die Chance, grundlegende Konsumgewohnheiten zu reflektieren und zu verändern – beispielsweise von Fleisch: „Fleisch war schon immer ein kompliziertes Lebensmittel für die Menschen. Weil eine Gewalttat dem Essen voran ging, musste es gerechtfertigt werden – zum Beispiel durch Opferrituale in der Antike. Heute besteht der Umgang damit darin, dass man es total banalisiert. Gleichzeitig wird es abgetrennt vom Rest der Gesellschaft, die Schlachter sprechen unsere Sprache nicht, niemals kommen wir mit denen in Kontakt. Heute würden wir diese Aggression, welche dem Fleischessen innewohnt, [und das Ausmaß unseres Fleischkonsums], gar nicht anders verarbeiten können”, meint Elisabeth. Zusammenhänge zwischen industrieller Fleischproduktion und dem COVID19-Virus, sowie Skandale um vermehrte Corona-Ausbrüche in deutschen Schlachthäusern bei erschütternden Arbeitsbedingungen, zeigen dass es höchste Zeit ist, dieses System zu überdenken.

Auch in der Gastronomie etabliert sich ein anderes Verständnis von Qualität: „Das Anliegen der Sterneköche vor 30 Jahren war die Erweiterung der Produktpalette. Man ging auf Reisen nach Frankreich oder Italien, um Dinge dann in Deutschland vorzustellen, von Artischocke bis Crème Fraîche. […] Es ist jetzt nicht mehr zu steigern. Und da wir wissen, welche Kosten auf der anderen Seite entstehen, hat es seinen Reiz verloren.” Auch darum setzen wir uns als Gemeinschaft für eine neue Esskultur ein, die den gesamten Prozess der Lebensmittelproduktion betrachtet und Lokalitäten in ihrer Einzigartigkeit ehrt. ⠀

Das Gespräch moderierte B-EAT Magazin Editor-at-Large Lorraine Haist.

 

 

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